Immortalis

wohlauf.
    Sie wollte schon aufspringen und die beiden auf sich aufmerksam machen, als sie bemerkte, dass Corben hinter Kirkwood ging. Über seiner Schulter hing eine Maschinenpistole, und er trug den Attachékoffer. Und er hielt etwas in der anderen Hand. Eine Pistole.
    Überhaupt stimmte die Körpersprache der beiden nicht. Kirkwood ging wachsam vor Corben her, und die Spannung zwischen ihnen war nicht zu übersehen.
    Es sah fast so aus, als sei Kirkwood Corbens Gefangener.
     
    Corben blieb hinter Kirkwood, als sie auf den Land Cruiser zugingen. Er hielt den Koffer in der einen und die Pistole mit dem Schalldämpfer in der anderen Hand.
    Mit ruhigem Blick beobachtete er die Häuser der Umgebung. Ein kleiner Junge schaute aus einem offenen Fenster zu ihnen heraus und wurde sofort von seiner verängstigten Mutter zurückgerissen. Auch hinter anderen Fenstern regte sich etwas. Sie mussten sich beeilen. Die türkische Polizei war vermutlich schon unterwegs – in dieser Gegend herrschte wegen der dauernden Bedrohung durch die militante kurdische PKK ständiger Alarmzustand –, und Corben verspürte vorläufig keine Lust, ihnen oder sonst jemandem etwas zu erklären.
    Die Fenster des Land Cruiser waren offen, und Corben sah, dass die Türen nicht verriegelt waren. «Einsteigen», befahl er Kirkwood leise und mit rauer Stimme. «Und keine Dummheiten.»
    Kirkwood stieg auf den Beifahrersitz, und Corben warf den Koffer und die Maschinenpistole auf die Ladefläche. Prüfend schaute er zu den Dächern hinauf. Er konnte Mia nirgends entdecken, aber er ahnte, dass sie sie beobachtete.
    «Mia», rief er hinauf. «Kommen Sie herunter. Die Gefahr ist vorbei. Wir können verschwinden.»
     
    Mia blieb in Deckung, als Corbens Stimme von der Straße heraufhallte.
    Hier in dieser gottverlassenen Ecke der Welt allein zurückzubleiben, umgeben von Leichen, war das Letzte, was sie wollte. Sie erschrak, als ihr die Bilder aus dem Film Midnight Express vor Augen traten. Sie wollte gern glauben, dass Corben auf ihrer Seite war, dass er hier war, um sie zu retten, und dass er ihre Mom befreien wollte. Offensichtlich hatte er die Männer des Hakim umgebracht. Das konnte nur Gutes bedeuten. Was machte es schon, dass er von den Experimenten des Hakim wusste? Er hatte sie in diesem Punkt belogen. Na und? Sie musste ja nicht alles wissen. Und es bedeutete nicht, dass er nicht versuchte, Evelyn zurückzuholen.
    «Mia», rief Corben noch einmal. «Wir müssen fahren. Kommen Sie.»
    Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie Corben und Kirkwood ohne sie abfuhren, und der Gedanke ängstigte sie. Sie wollte nicht allein bleiben.
    Sie unterdrückte alle widerstreitenden Gefühle, und obwohl die Angst davor, einen riesigen Fehler zu begehen, wie ein Stein in ihrem Magen lag, richtete sie sich auf.
     
    Kirkwood saß im Land Cruiser und hörte mit großer Sorge, wie Corben sie rief.
    Er musste etwas unternehmen. Corben würde für Mia keine Verwendung mehr haben, wenn er das Buch erst in Händen hielt. Sie wusste zu viel.
    Er musste sie warnen.
    Er stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen.
    «Mia, nicht», schrie er und spähte zu den Dächern hinauf. «Bleib weg.»
    Corben lief ihm nach, holte ihn nach wenigen Schritten ein und stieß ihn zu Boden. Er packte ihn und hielt ihm die Pistole vor das Gesicht.
    Kirkwood starrte ihn trotzig an. «Was wollen Sie tun? Mich abknallen?»
    Corben hielt ihn noch einen Moment lang fest. Er kochte vor Wut. «Stehen Sie auf», befahl er dann. Er riss ihn auf die Beine und stieß ihn zum Auto. Dort blieb er stehen und warf noch einen letzten Blick hinauf zu den Dächern, bevor er Kirkwood auf den Beifahrersitz stieß und dann ebenfalls einstieg.
     
    Mia stockte der Atem, als sie sah, wie Kirkwood aus dem Wagen sprang und die Straße hinunterrannte. Starr vor Schreck beobachtete sie, wie Corben ihn einholte und zu Boden stieß und wie er ihn dann zum Wagen zurückbrachte.
    Sie duckte sich wieder und sah zu, wie Corben einstieg. Verzagt hörte sie, wie der Motor ansprang und der Wagen mit kreischenden Reifen losfuhr und verschwand.
    Mühsam richtete sie sich wieder auf, bleich und schwindlig. Sie schaute in die stille Straße hinunter. Der Land Cruiser war verschwunden; er hatte eine Staubwolke und diverse Leichen hinterlassen. Neugierige Leute kamen vorsichtig aus den benachbarten Häusern und aus dem Basar.
    Mias Blick fiel auf das alte Buch in ihren Händen, und sie bemerkte, dass ihre Fingernägel sich