Immortals after Dark 04 - Tanz des Verlangens
zu ihrer Bettstelle.
Sie hatte sie schon vor langer Zeit in ihr Studio gebracht. Obwohl sie sie nicht fühlen konnte, genauso wenig wie die Decken, die sie darauf verteilt hatte, schlief sie fast jede Nacht dort. Sie verhielt sich in der Regel so wie zu ihren Lebzeiten. Einmal abgesehen davon, dass sie durch Wände gehen und sich translozieren konnte, natürlich.
Ein paar Zentimeter über ihrem Lager rollte sie sich zusammen, um sich ihren Träumereien hinzugeben. Néomi nannte ihren gespenstischen Schlaf Träumerei, da er sich von dem unterschied, was sie zu Lebzeiten gekannt hatte. Zum einen brauchte sie diese Ruhephase nicht jeden Tag. Wenn sie die Telekinese lediglich dazu benutzte, die Zeitung umzublättern, konnte sie sogar tagelang ohne sie auskommen. Der Augenblick des Erwachens kam sehr plötzlich, ohne dass irgendeine Änderung eingetreten wäre, abgesehen von ihrem Energieniveau. Sie trug immer noch dieselben Kleider, ihr Haar war unverändert, und sie musste niemals ihre Beine und Achseln rasieren. Normalerweise verlor sie einfach für ungefähr vier Stunden das Bewusstsein.
Das heißt, bis der Splittermond – die erste Mondsichel nach Neumond – am Himmel erschien. Monat für Monat zwang sie irgendeine Macht in dieser einen Nacht zu tanzen. Wie eine gespenstische Marionette drehte sie sich bis zu demselben schaurigen Moment, wenn sie sich erschöpft und zutiefst erschüttert danach sehnte, endgültig zu sterben.
Es blieben nur noch drei Tage bis zu ihrem nächsten Auftritt …
Ihre maman pflegte zu sagen, dass der Splittermond Menschen wie ihnen Glück brächte – Menschen, die sich mit aller Kraft am Himmel festhalten, und das wieder und wieder. Ganz gleich, wie oft sie ihn verlieren. Das war der Grund, warum Néomi ihre Party an jenem Abend veranstaltet hatte.
Wenn sie diese Party beschreiben sollte – die Party, auf der sie das Erreichen all ihrer Träume feiern wollte –, wäre „Glück“ allerdings nicht der Begriff, der ihr als Erstes eingefallen wäre. Mit sechsundzwanzig Jahren hatte Néomi ganz allein dieses Haus gekauft, nachdem sie sich aus dem Vieux Carré herausgearbeitet hatte und es ihr gleichzeitig gelungen war, ihre anrüchige Vergangenheit geheim zu halten.
Ihre vornehmen Gönner hatten niemals herausgefunden, dass Néomi der Bastard eines französischen Emigranten war, geboren im zwielichtigen Französischen Viertel. Sie hatten Néomi Laress nie mit Marguerite L’Are in Verbindung gebracht, der berüchtigten burlesken Tänzerin. Sie waren nie dahintergekommen, dass auch Néomi eine Zeit lang selbst eine solche gewesen war.
Nachdem ihre maman der Influenza zum Opfer gefallen war, als Néomi gerade sechzehn geworden war, hatte sie angefangen, selbst aufzutreten. Néomi war zu diesem Zeitpunkt gut entwickelt und mit dem richtigen Make-up und in den richtigen Kostümen war sie für zwanzig durchgegangen. Es waren harte Zeiten gewesen, aber das Geld war gut.
Sie verspürte keine Hemmungen und besaß keine moralischen Überzeugungen, die dagegen gesprochen hätten. Jeder bekam, was er brauchte, und niemandem wurde ein Leid zugefügt. Obwohl sie sich niemals dessen schämte, was sie getan hatte, hielt sie es geheim, weil sie wohl begriff, dass andere Leute diese Angelegenheit anders sehen würden als sie.
Nachdem sie ein Jahr lang gespart hatte, hörte Néomi auf. Sie hatte immer davon geträumt, Ballerina zu werden, und hatte die Unterrichtsstunden nicht vergeuden wollen, die ihre Mutter sich vom Munde abgespart hatte. Und die ganze Arbeit, die Néomi geleistet hatte, um dieses unglaubliche Opfer zu rechtfertigen. Und irgendwie hatte sie es geschafft …
Dann bin ich gestorben …
Sie wünschte, Conrad hätte sie als die Ballerina sehen können, die sie einst gewesen war – auf der Bühne, in einem luxuriösen Kostüm, mit vor Stolz geröteten Wangen, von kräftigem Beifall überflutet. Ob er sie wohl hübsch gefunden hätte?
Sie seufzte düster. Das würde sie nie erfahren …
Was würde wohl der morgige Tag bringen, mit Conrad, dem Assassinen-Vampir mit dem starken Körper und dem kranken Verstand? Während sie in das Reich der Träume hinüberglitt, fragte sie sich: Können wir ihn retten, wenn er nicht gerettet werden will?
Wir?
•
Der Geist kehrt in dieser Nacht nicht mehr zurück.
Und das nimmt er ihm übel.
Erst am späten Nachmittag des nächsten Tages nimmt er endlich wieder den Duft von Rosen wahr. Das Zimmer ist von der Nachmittagssonne durchflutet,
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