Imperium
Oktober, gegen
fünfzehn Uhr, den Kricketpavillon besucht?«
»Jawohl, Sir«, antwortete Keith ohne Zögern. »Meine
Pflichten als Spendensammler machen es erforderlich, daß ich mich hin und wieder dort umschaue.«
»Ja, natürlich«, murmelte der Direktor. »Das ist völlig verständlich und außerdem sehr löblich.« Mr. Clarke blickte ihn ernst an und nickte bestätigend. »Können Sie mir mit eigenen Worte schildern, was Sie an dem betreffenden Samstag gesehen haben, als Sie den Pavillon betraten?«
Keith hätte am liebsten gegrinst, doch es gelang ihm, eine 131
ernste Miene beizubehalten.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte Mr. Jessop. »Und was immer Sie von der Sache halten – Sie brauchen Ihre
Äußerungen nicht als Petzerei zu betrachten.«
Keine Bange, dachte Keith, das tue ich bestimmt nicht. Er überlegte, ob er diese Gelegenheit nutzen sollte, zwei alte Rechnungen zu begleichen. Aber vielleicht brächte es ihm mehr ein, wenn…
»Vielleicht sollten Sie auch bedenken, daß der gute Ruf mehrerer Personen von Ihrer Interpretation der Geschehnisse an jenem bedauerlichen Nachmittag abhängt.« Es war das Wort
»Ruf«, das Keith half, seine Entscheidung zu treffen. Er runzelte die Stirn, als würde er angestrengt über die möglichen Folgen seiner Aussage nachdenken, und fragte sich, wie lange er diese quälende Ungewißheit noch ausdehnen konnte.
»Als ich den Pavillon betrat«, Keith bemühte sich,
ungewöhnlich verantwortungsvoll zu klingen, »konnte ich überhaupt nichts sehen, weil es stockdunkel war. Ich war erstaunt, bis mir klar wurde, daß sämtliche Jalousien heruntergelassen waren. Und mein Erstaunen wurde noch größer, als ich plötzlich Geräusche aus den Umkleideräumen hörte. Ich wußte ja, daß die Schulmannschaft an diesem Tag ein
Auswärtsspiel hatte. Tja, ich taste also nach dem Schalter, und als ich das Licht anmache, da denke ich, mich trifft der Schlag, weil…« Keith zögerte und tat so, als wäre es ihm zu peinlich, weiter zu erzählen.
»Sie brauchen sich keine Gedanken darüber zu machen, daß Sie vielleicht schlecht über einen Freund reden«, beruhigte der Direktor ihn. »Sie können sich auf unsere Diskretion
verlassen.«
Aber du nicht auf meine, dachte Keith.
»… weil Ihre Tochter und Duncan Alexander nackt auf
einer der Matten lagen.« Wieder machte Keith gekonnt eine bedeutungsvolle Pause, und diesmal bedrängte ihn der Direktor 132
nicht, weiterzureden. Also ließ Keith sich Zeit. »Was auch vorgefallen war – es muß in dem Moment aufgehört haben, als ich das Licht einschaltete und…« Wieder ein gekonntes Zögern.
»Das ist auch für mich nicht leicht, Townsend, wie Sie sich gewiß vorstellen können.«
»Ja, das ist mir klar, Sir.« Keith freute sich, wie gut es ihm gelang, aus dieser kurzen Episode einen langen Bericht zu machen. Er war offenbar doch zum Journalisten geboren.
»Hatten die beiden Ihrer Meinung nach Geschlechts-
verkehr?«
»Ich gehe mal davon aus, Sir.« Keith hoffte, es würde unschlüssig klingen.
»Aber Sie können es nicht mit Sicherheit sagen?« fragte der Direktor.
»Doch, ich glaube schon«, antwortete Keith nach einer langen Pause, »denn…«
»Es braucht Sie nicht verlegen zu machen, Townsend. Seien Sie versichert, daß ich lediglich daran interessiert bin, die Wahrheit zu erfahren.«
Aber ich vielleicht nicht, dachte Keith, der nicht im geringsten verlegen war – ganz im Gegensatz zu den beiden anderen Herren im Zimmer.
»Sie müssen uns genau sagen, was Sie gesehen haben,
Townsend.«
»Es war nicht so sehr, was ich gesehen habe, Sir – es war mehr, was ich gehört habe«, entgegnete Keith.
Der Direktor senkte den Kopf. Diesmal brauchte er eine Weile, bis er sich wieder gefaßt hatte. »Die nächste Frage ist äußerst unangenehm für mich, Townsend, denn ich muß mich nicht nur völlig auf Ihr Erinnerungsvermögen verlassen, sondern auch auf Ihr Urteilsvermögen.«
»Ich werde mein Bestes geben, Sir.«
Jetzt war es der Direktor, der zögerte, und Keith mußte sich 133
fast in die Zunge beißen, um nicht zu sagen: »Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Nun, äh … Townsend … und denken Sie daran, daß es
sich hier um eine streng vertrauliche Unterredung handelt …
hatten Sie den Eindruck, soweit Sie es beurteilen können, daß meine Tochter… sozusagen…«, wieder zögerte er, »… willig war?« Keith bezweifelte, daß der Direktor je einen
unbeholfeneren Satz von sich gegeben hatte.
Keith
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