Imperium
sich Sorgen über die Papierknappheit.
Außerdem fällt häufig der Strom aus. Wir möchten, daß Der Telegraf auch wirklich täglich erscheint und unsere Ansichten verbreitet. Ich wüßte niemanden, der diese Aufgabe besser erledigen könnte als Sie.«
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» Der Telegraf ist nicht die einzige Berliner Tageszeitung«, wandte Armstrong ein.
»Stimmt.« Der Colonel nickte. »Ein anderer Deutscher
verlegt im amerikanischen Sektor den Berliner – ein weiterer Grund, daß unser Projekt unter keinen Umständen scheitern darf. Momentan ist die Auflage des Berliner doppelt so hoch wie die des Telegraf. Wie Sie sich vorstellen können, hätten wir’s umgekehrt lieber.«
»Und welche Befugnisse hätte ich?«
»Sie bekommen freie Hand. Sie dürfen sich Ihre Redaktion selbst einrichten und soviel Personal einstellen, wie Sie für nötig halten. Es ist auch eine Wohnung vorhanden, Sie könnten Ihre Frau also gleich herkommen lassen.« Oakshott machte eine Pause. »Hätten Sie gern eine kurze Bedenkzeit, Dick?«
»Die brauche ich nicht, Sir.«
Der Colonel zog die Brauen hoch.
»Ich nehme mit Freuden an.«
»Sehr gut. Fangen Sie an, indem Sie zuerst einmal
Verbindungen herstellen. Sehen Sie zu, daß Sie jeden
kennenlernen, der uns irgendwie von Nutzen sein kann. Falls Sie auf Probleme stoßen, verweisen Sie direkt an mich – egal, wer Ihnen in die Quere kommt. Sollten Sie irgendwie gar nicht weiterkommen, reichen für gewöhnlich die Worte ›Alliierter Kontrollrat‹ um selbst die unbeweglichsten Räder zu ölen.«
Captain Armstrong benötigte lediglich eine Woche, die geeigneten Redaktionsräume im Herzen des britischen Sektors zu requirieren, was er zum Teil tatsächlich dem Wort
»Kontrollrat« verdankte, das er in fast jedem zweiten Satz benutzte. Ein bißchen länger brauchte er dazu, sein elfköpfiges Personal zu rekrutieren; denn die Besten arbeiteten bereits für den Rat. Armstrong erster Schritt bestand darin, Sally Carr abzuwerben, die Sekretärin eines Generals, die vor dem Krieg in London für den Daily Chronicle gearbeitet hatte.
Kaum stand Sally in Armstrongs Diensten, lief binnen
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kürzester Zeit alles wie am Schnürchen. Armstrongs nächster Coup erfolgte, als er entdeckte, daß Lieutenant Wakeham als Transportoffizier in Berlin stationiert war. Sally erzählte ihrem Chef, daß Wakeham sich mit dem stumpfsinnigen Ausfüllen von Reisedokumenten für die Soldaten zu Tode langweile.
Armstrong machte Wakeham den Vorschlag, als sein Stellvertreter zur Zeitung zu kommen, und zu seiner Verwunderung nahm sein ehemaliger Vorgesetzter das Angebot nur zu gern an. Er brauchte allerdings einige Tage, bis Armstrong sich daran gewöhnt hatte, Wakeham mit »Peter« anzureden.
Armstrong vervollständigte sein Team mit einem Sergeant, zwei Corporals und einem halben Dutzend Privates aus dem King’s Own, welche die nötige Voraussetzung für die
entsprechenden Arbeiten mitbrachten. Allesamt hatten sie früher in Londons East End als Straßenhändler ihr Dasein gefristet. Den Cleversten, Private Reg Benson, machte Armstrong zu seinem Fahrer. Als nächstes organisierte er sich eine Wohnung in der Paulstraße, in der ein Brigadegeneral wohnte, welcher in Kürze nach England zurückkehren würde.
Sobald der Colonel die erforderlichen Papiere unterschrieben hatte, bat Armstrong Sally, ein Telegramm an Charlotte in Paris zu schicken.
»Und der Text?« fragte sie und schlug eine Seite ihres Stenoblocks zurück.
»›Habe passende Wohnung gefunden. Pack alles und komm sofort.‹« Armstrong stand auf. »Ich fahre jetzt zum Telegraf undsehe mal nach Arno Schulz. Kümmern Sie sich inzwischen darum, daß hier alles glatt geht.«
»Was soll ich damit machen?« fragte Sally und reichte ihm einen Brief.
»Worum geht’s?« Armstrong warf nur einen flüchtigen
Blick darauf.
»Ein Journalist aus Oxford möchte Berlin besuchen und darüber schreiben, wie die Briten als Sieger die besiegten 169
Deutschen behandeln.«
»Viel zu gut«, brummte Armstrong an der Tür. »Aber halten Sie mir für den Mann einen Termin frei.«
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NEWS CHRONICLE
1. Oktober 1946
Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse:
Görings Schuld beispiellos in ihrer Ungeheuerlichkeit Als Keith Townsend im Worcester College in Oxford eintraf, um Politikwissenschaften, Philosophie und Volkswirtschaft zu studieren, entsprach sein erster Eindruck von England genau dem, was er erwartet und stets angeprangert hatte: Es war selbstgefällig,
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