Imperium
nächsten Morgen stand er vor dem Haus, in dem Charlotte wohnte.
Als die Concierge Charlotte informierte, daß ein Lieutenant Armstrong zu ihr wolle, erwiderte Charlotte, sie kenne niemanden mit diesem Namen. Sie vermutete, daß es sich um irgendeinen Offizier handelte, der sich von ihr die Stadt zeigen lassen wollte. Doch als sie sah, um wen es sich handelte, warf sie ihm die Arme um den Hals, und sie verließen Charlottes kleines Apartment den ganzen Tag und die folgende Nacht nicht. Obwohl sie Französin war, schockierte es die Concierge.
»Ich weiß ja, daß Krieg ist«, sagte sie zu ihrem Mann, »aber die beiden haben sich nie zuvor gesehen!«
Am Sonntagabend mußte Dick Charlotte verlassen, um an die Front zurückzukehren. Er versprach ihr, wiederzukommen, sobald die Alliierten Berlin eingenommen hätten – und dann würden sie heiraten. Er schwang sich aufs Motorrad und brauste davon. Charlotte stand im Nachthemd am Fenster ihres kleinen Apartments und blickte ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. »Es sei denn, du fällst, bevor Berlin fällt, Liebling«, flüsterte sie.
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Das King’s Own Regiment wurde für die Einnahme Hamburgs ausersehen, und Armstrong wollte der erste Offizier sein, der die Stadt betrat. Nach drei Tagen heftigsten Widerstands fiel Hamburg.
Am nächsten Morgen betrat Field Marshal Sir Bernard
Montgomery die Stadt. In seinem Jeep stehend, hielt er eine Rede an die alliierten Truppen. Er bezeichnete die Schlacht um Hamburg als entscheidend und versicherte seinen Männern, daß der Krieg nun rasch zu Ende sein würde, so daß sie bald nach Hause zurückkehren dürften. Nachdem die Soldaten ihrem Oberbefehlshaber zugejubelt hatten, stieg er vom Jeep und verlieh Tapferkeitsmedaillen. Zu jenen, die das Military Cross erhielten, gehörte Captain Richard Armstrong.
Zwei Wochen später wurde die bedingungslose Kapitulation Deutschlands von General Jodl unterzeichnet und von
Eisenhower angenommen. Am darauffolgenden Tag erhielt Captain Richard Armstrong eine Woche Urlaub. Er fuhr mit seinem Motorrad zurück nach Paris und traf wenige Minuten vor Mitternacht vor Charlottes Haus ein. Diesmal brachte die Concierge ihn direkt zum Apartment.
Am nächsten Morgen schritten Charlotte in einem weißen Kostüm und Dick in seiner Paradeuniform zum Standesamt.
Dreißig Minuten später traten sie als Captain und Mrs.
Armstrong heraus. Die Concierge und ihr Mann hatten als Trauzeugen fungiert. Den größten Teil ihrer dreitägigen Flitterwochen verbrachte das junge Paar in Charlottes winzigem Apartment. Als Dick seine Frau verließ, um zu seinem Regiment zurückzukehren, erklärte er, daß er mit Charlotte nach England heimkehren wolle, um dort ein großes Unternehmen aufzubauen.
»Haben Sie schon irgendwelche Pläne, jetzt, wo der Krieg vorbei ist, Dick?« fragte Colonel Oakshott.
»Ich werde nach England zurückkehren und mir eine
Stellung suchen«, antwortete Armstrong.
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Oakshott öffnete den bräunlichen Ordner, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Ich habe hier in Berlin vielleicht etwas für Sie.«
»Als was, Sir?«
»Das Oberkommando sucht einen geeigneten Mann für die Leitung der PRISC. Ich glaube, Sie sind genau der Richtige für diesen Posten.«
»Was in aller Welt ist die…«
»Die PRISC ist die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Presseaufsicht. Der Posten ist wie geschaffen für Sie. Wir suchen jemanden, der Großbritanniens Sache überzeugend darstellen und sich gleichzeitig vergewissern kann, daß die Presse die Angelegenheit auch richtig interpretiert. Den Krieg zu gewinnen war eine Sache, aber die Welt davon zu
überzeugen, daß wir die einstigen Feinde fair behandeln, ist eine andere – und sie erweist sich als viel schwieriger. Die Amerikaner, Russen und Franzosen werden ihre eigenen
Vertreter abstellen; deshalb brauchen wir jemanden, der auch ein Auge auf sie haben kann. Sie beherrschen mehrere
Sprachen und verfügen über alle nötigen Voraussetzungen.
Und, Dick, Sie haben keine Familie in England, zu der Sie zurückeilen möchten.«
Armstrong nickte. Nach einigen Augenblicken sagte er:
»Um Montgomery zu zitieren: ›Welche Waffen geben Sie mir, um den Job zu erledigen?‹«
»Eine Zeitung«, erwiderte Oakshott. » Der Telegraf ist eine der Berliner Tageszeitungen. Ihr derzeitiger Verleger ist Arno Schulz, ein Deutscher. Die ganze Zeit jammert er darüber, er könne seine Druckerpressen nicht in Betrieb halten, und ständig macht er
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