Imperium
zu müssen, als würde man einen Skooter auf dem Rummelplatz lenken. Und kaum hatte Keith einmal das Glück, mit über sechzig Stunden-kilometer voranzukommen, mußte er an den Straßenrand
ausweichen, um eine weitere Militärkolonne vorbeizulassen.
Bei der letzten Kolonne sah Keith, daß die Jeeps Sterne auf den Türen aufgemalt hatten.
Keith beschloß, einen dieser unplanmäßigen Aufenthalte zu nutzen und in ein Gasthaus einzukehren, das er ein Stück abseits der Straße erspäht hatte. Das Essen war ungenießbar, das Bier dünn, und die finstere Miene des Wirts und seiner Gäste zeigten Keith nur zu deutlich, daß er nicht willkommen war. Er bestellte sich nichts mehr, sondern zahlte rasch und brach gleich wieder auf.
Nur langsam näherte er sich der deutschen Hauptstadt. Er erreichte die Außenbezirke Berlins wenige Minuten, bevor die Gaslaternen angezündet wurden. Sogleich hielt er in den Nebenstraßen Ausschau nach einem kleinen Hotel – er wußte, je näher er dem Stadtzentrum kam, desto unwahrscheinlicher war es, daß er sich die Preise leisten konnte.
Schließlich entdeckte er ein kleines Hotel an der Ecke einer ausgebombten Straße. Es stand ganz allein da, als hätte es gar nicht bemerkt, was ringsum geschehen war. Diese Illusion schwand jedoch, als Keith die Eingangstür geöffnet hatte. Die düstere Diele wurde nur von einer Kerze beleuchtet, und ein Portier in abgewetzter Hose und grauem Hemd stand mürrisch hinter dem Anmeldepult. Er nahm kaum Notiz davon, daß der junge Mann nach einem Zimmer fragte, und Keith sprach nur 176
wenige Worte Deutsch. So hob er schließlich die offene Hand, in der Hoffnung, der Portier würde begreifen, daß sein neuer Gast fünf Tage zu bleiben beabsichtige.
Der Mann nickte zögernd, nahm einen Schlüssel von einem der Haken und führte Keith eine schlichte Holztreppe hinauf zu einem Eckzimmer im ersten Stock. Keith stellte seine
Reisetasche ab und starrte auf das kleine Bett, den Stuhl, die Kommode mit drei statt acht Schubladenknöpfen, und auf den ramponierten Tisch. Er ging durchs Zimmer, schaute durchs Fenster auf die Trümmerlandschaft und dachte an den
friedlichen Ententeich, den er von seinem Zimmer im College aus sehen konnte. Er drehte sich um und wollte dem Portier danken, doch der war bereits verschwunden.
Nachdem Keith seine Reisetasche ausgepackt hatte, zog er den Stuhl an den Tisch am Fenster. Dann schrieb er gut zwei Stunden lang seine ersten Eindrücke über das besiegte Deutschland nieder – nicht zuletzt deshalb, weil er sich seiner Nationalität wegen aus irgendeinem Grund schuldig fühlte.
Als die Sonne durch das vorhanglose Fenster schien, erwachte Keith. Er brauchte eine Weile, bis er sich in dem beschädigten Waschbecken, in das der Leitungshahn nur tropfenweise kaltes Wasser abgab, waschen konnte. Unter diesen Umständen
beschloß er, auf eine Rasur zu verzichten. Er zog sich an, stieg die Treppe hinunter und öffnete auf der Suche nach der Küche mehrere Türen, ehe er sie fand. Eine Frau stand an einem Herd.
Sie wandte sich zu Keith um, bemühte sich um ein Lächeln und deutete auf den Tisch.
Es sei alles rationiert und kaum etwas zu bekommen, außer Mehl, erklärte sie ihm in einem Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch. Sie setzte ihm zwei große Scheiben Brot vor, hauch-dünn mit Schweineschmalz beschmiert. Keith dankte ihr und erntete ein Lächeln. Nach einem zweiten Becher irgendwas –
die Frau versicherte ihm, daß es Milch sei – ging Keith auf sein 177
Zimmer zurück, setzte sich ans Fußende des Bettes und suchte die Adresse, wo das Treffen stattfinden sollte, auf einem alten Stadtplan, den er in einem Schreibwarenladen in Oxford erstanden hatte. Er verließ das Hotel schon kurz nach acht, weil er auf keinen Fall zu spät zum Treffen kommen wollte.
Er hatte bereits beschlossen, sich die Zeit so einzuteilen, daß er sich zumindest einen Tag lang in jedem Sektor der geteilten Stadt umsehen konnte. Den russischen wollte er sich für zuletzt aufheben, um ihn mit jenen Sektoren vergleichen zu können, die von den westlichen Alliierten kontrolliert wurden. Nach allem, was er bisher gesehen hatte, ging Keith davon aus, daß es unter den Sowjets nur besser laufen konnte. Das würde seine Genossen vom Labour Club in Oxford zweifellos freuen, waren sie doch der Meinung, daß »Onkel Josef« viel bessere Arbeit leistete als Attlee, Auriol und Truman zusammen –
ungeachtet der Tatsache, daß die meisten Mitglieder des
Weitere Kostenlose Bücher