Imperium
Lunch mit seinen Kameraden. Sie hatten nicht einmal in Erwägung gezogen, Armstrong aufzufordern, bei ihnen Platz zu nehmen.
Dennoch besuchte Captain Armstrong zehn Tage später den russischen Sektor unter dem Vorwand, Ausschau nach
Ersatzteilen für die Druckmaschinen des Telegraf zuhalten.
Sobald er sich vergewissert hatte, daß seine Verbindungsleute die benötigten Teile nicht hatten – wie er natürlich schon zuvor wußte –, begab er sich zum Leninplatz und suchte Tulpanows Büro.
Der Eingang des riesigen grauen Gebäudes, den man durch einen Torbogen an der Nordseite des Platzes erreichte, war alles andere als eindrucksvoll, und die Sekretärin, die allein in einem schäbigen Vorzimmer im zweiten Stock saß, ließ
keineswegs darauf schließen, daß ihr Chef ein erfolgreicher Aufsteiger war. Sie betrachtete Armstrongs Visitenkarte und schien sich gar nicht darüber zu wundern, daß ein Captain der britischen Streitkräfte ohne Voranmeldung einfach bei den Russen hereingeschneit kam. Schweigend führte sie Dick über einen langen grauen Korridor, dessen abblätternde Wände mit Bildern von Marx, Engels, Lenin und Stalin geziert waren, und blieb schließlich vor einer Tür ohne Aufschrift stehen. Sie klopfte an, öffnete und trat zur Seite, um Captain Armstrong an 247
sich vorbei in Tulpanows Büro treten zu lassen.
Dick war ehrlich überrascht, als er in ein luxuriös eingerichtetes Zimmer mit kostbaren antiken Möbeln und alten Gemälden trat. Vor einiger Zeit hatte er General Templer interviewt, den Militärgouverneur des britischen Sektors, doch dessen Büro war viel weniger beeindruckend gewesen.
Major Tulpanow erhob sich hinter seinem Schreibtisch und ging seinem Besucher über den dicken Orientteppich entgegen.
Armstrong entging nicht, daß die Uniform des Majors viel besser geschneidert war als seine.
»Willkommen in meinem bescheidenen Heim, Captain
Armstrong«, begrüßte ihn der russische Offizier. »So lautet doch die korrekte englische Anrede, nicht wahr?« Er versuchte gar nicht erst, sein Grinsen zu unterdrücken. »Ihr Timing ist perfekt. Machen Sie mir die Freude, mit mir zu lunchen?«
Armstrong nahm die Einladung dankend mit »Spasibo!« an.
Tulpanow zeigte sich über diesen Wechsel vom Englischen ins Russische nicht überrascht und führte seinen Gast in ein Nebenzimmer, wo bereits für zwei Personen gedeckt war.
Armstrong fragte sich verwundert, ob der Major seinen Besuch erwartet hatte.
Als Dick gegenüber von Tulpanow Platz nahm, erschien ein Diener mit zwei Tellern Kaviar; ein zweiter folgte mit einer Flasche Wodka. Falls dies dem Zweck dienen sollte, Dick die Befangenheit zu nehmen, verfehlte es völlig seine Wirkung.
Der Major hob sein bis zum Rand gefülltes Glas und brachte einen Trinkspruch aus: »Auf unseren zukünftigen Wohlstand!«
»Auf unseren zukünftigen Wohlstand«, wiederholte Dick in dem Moment, als die Sekretärin des Majors das Zimmer betrat.
Sie legte einen dicken bräunlichen Umschlag auf den Tisch.
»Und wenn ich ›unseren‹ sage, dann meine ich auch
›unseren‹.« Der Major setzte sein Glas ab. Den Umschlag beachtete er gar nicht.
Auch Armstrong stellte sein Glas auf den Tisch, schwieg 248
jedoch. Eine seiner Anweisungen vom Abschirmdienst lautete, immer zuerst die anderen reden zu lassen.
»Also, Lubji«, sagte Tulpanow, »ich habe nicht die Absicht, Ihre Zeit damit zu vergeuden, Ihnen etwas darüber vorzulügen, welche Funktion ich im russischen Sektor ausübe – schon deshalb nicht, weil Sie im Laufe der letzten zehn Tage genau unterrichtet wurden, weshalb ich in Berlin stationiert bin und welche Rolle ich im ›kalten Krieg‹ spiele; Ihr da drüben nennt es doch so, nicht wahr? Ich vermute, daß Sie inzwischen mehr über mich wissen als meine Sekretärin.« Er lächelte und löffelte sich Kaviar in den Mund. Armstrong spielte scheinbar verlegen mit seiner Gabel und rührte keinen Bissen an.
»Aber die Wahrheit ist, Lubji – oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich Sie John nenne? Oder Dick? Jedenfalls, die Wahrheit ist, daß ich zweifellos viel mehr über Sie weiß als Ihre Sekretärin, Ihre Frau und Ihre Mutter zusammen.«
Armstrong schwieg noch immer. Er legte die Gabel auf den Tisch und ließ den Kaviar unangetastet vor sich stehen.
»Wissen Sie, Lubji, Sie und ich sind von derselben Art.
Deshalb bin ich zuversichtlich, daß wir einander von großem Nutzen sein können.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«,
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