Imperium
unterwegs gewesen und offensichtlich wenig erbaut davon war, dass man ihn geweckt hatte. Ein dichter Stoppelbart bedeckte sein gut geschnittenes Kinn. Ständig steckte er die Zunge heraus, schluckte und verzog das Gesicht, als wäre der Geschmack in seinem Mund so grässlich, dass er ihn nicht mehr lange aushalten würde. Mit vorsichtigen Schritten kam er zu mir herüber, und als er mich fragte, was um alles in der Welt ich denn wollte, stammelte ich, dass er mir unbedingt etwas Geld leihen müsse.
Er blinzelte mich ungläubig an. »Wofür?«
»Na ja, es gibt da ein Mädchen«, sagte ich linkisch. Das Gleiche hatte er mir immer geantwortet, wenn er mich um Geld angepumpt hatte, und mir fiel einfach nichts anderes ein. Ich fasste ihn am Arm und versuchte mit ihm ein Stück die Straße hinunterzugehen, weil ich befürchtete, Crassus könnte plötzlich in der Tür auftauchen und uns zusammen sehen. Aber er zog seinen Arm weg und blieb schwankend stehen, wo er war.
»Ein Mädchen?«, wiederholte er. »Du?« Dann fing er an zu lachen. Aber anscheinend bekam er solche Kopfschmerzen davon, dass er gleich wieder aufhörte und sich mit den Fingern über die Schläfen fuhr. »Wenn ich Geld hätte, Tiro, würde ich es dir sofort geben. Ich würde es dir sogar schenken, einfach weil ich dich zu gern mal mit einem anderen Lebewesen als mit Cicero sehen würde. Aber das wird wohl nie passieren, du bist nicht der Typ für Mädchen. Soweit ich das beurteilen kann, mein armer Tiro, bist du für gar nichts der richtige Typ.« Er schaute mich scharf an. »Wofür brauchst du das Geld wirklich?« Warmer Atem, der nach abgestandenem Wein roch, stieg mir in die Nase. Unwillkürlich schüttelte es mich, was er sofort als Geständnis missdeutete. »Du lügst«, sagte er. Langsam breitete sich ein Grinsen auf seinem Stoppelgesicht aus. »Cicero hat dich hergeschickt, weil er irgendwas wissen will.«
Wieder zupfte ich ihn am Ärmel, und diesmal ging er mit. Allerdings nur ein paar Schritte, denn die plötzliche Bewegung schien ihm nicht zu bekommen. Er blieb auf einmal stehen, wurde kalkweiß im Gesicht und hielt warnend einen Finger in die Luft. Dann traten ihm die Augen aus den Höhlen, der Hals schwoll an, und nach einem besorgniserregenden Würgen schoss ihm ein Schwall zähflüssigen Breis aus dem Mund, der mir sofort ein anderes Bild in Erinnerung rief: das von einem Zimmermädchen, das aus dem ersten Stock einen vollen Eimer auf die Straße leert. (Man möge mir die Einzelheiten verzeihen, aber diese Szene ist mir eben zum ersten Mal seit sechzig Jahren wieder eingefallen, und ich musste dermaßen lachen.) Jedenfalls schien Caelius das gut getan zu haben, denn die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, und er war gleich viel munterer und fragte, was Cicero denn nun von ihm wissen wolle.
»Das liegt doch auf der Hand«, erwiderte ich leicht gereizt.
»Ich wünschte, ich könnte euch helfen, Tiro«, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Du weißt, dass ich euch helfen würde, wenn ich könnte. Bei Crassus ist es nicht halb so angenehm wie bei Cicero. Der alte Glatzkopf ist vielleicht ein Ekel - noch schlimmer als mein Vater. Buchführung von morgens bis abends, das ist so ziemlich das Langweiligste, was es gibt auf der Welt, bis auf Handelsrecht vielleicht, damit hat er mich den ganzen letzten Monat geknechtet. Aber was Politik angeht, die ich ja ganz unterhaltsam finde, da hält er mich von allem fern.«
Ich versuchte es noch mit ein paar Fragen, zum Beispiel über Caesars Besuch an jenem Morgen, aber es zeigte sich schnell, dass er über Crassus ' Pläne nicht das Geringste wusste. (Natürlich kann er auch gelogen haben, aber angesichts seiner notorischen Geschwätzigkeit bezweifelte ich das.) Nachdem ich mich dennoch bei ihm bedankt und schon `halb zum Gehen gewandt hatte, hielt er mich am Ellbogen fest. »Cicero muss wirklich verzweifelt sein, wenn er mich im Hilfe bittet«, sagte er und schaute mich mit ungewohnter Ernsthaftigkeit an. »Sag ihm, dass es mir leidtäte, wenn er in Schwierigkeiten stecken sollte. Er ist ein Dutzend Mal mehr wert als Crassus und mein Vater zusammen.«
Ich nahm nicht an, dass ich Caelius Rufus so bald wiedersehen würde. Den ganzen Tag, der vollkommen im Zeichen der Abstimmung über das Bestechungsgesetz stand, dachte ich nicht mehr an ihn. Cicero war auf dem Forum unermüdlich tätig. Mit seinem Gefolge ging er von einem Mitglied eines Wahlbezirks zum nächsten und
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