Imperium
geringste Ahnung hatte, was er überhaupt meinte, war die Gefahr eines Geheimnisverrats allerdings kaum gegeben. Nicht zum ersten Mal verließ ich ihn einigermaßen verwirrt.
KAPITEL IX
Und so geschah es, dass am fünften Tag im August, während des Konsulats des Gnaeus Pompeius Magnus und des Marcus Licinius Crassus, ein Jahr und neun Monate nach Sthenius ' erstem Besuch bei Cicero, der Prozess gegen Gaius Verres begann.
Das sommerlich heiße Rom wimmelte wegen der Volkszählung, der Wahlen und der bevorstehenden Spiele des Pompeius ohnehin bereits von Menschen. Dazu kamen noch die vielen Opfer von Verres, die angereist waren, um zu erleben, wie ihr Peiniger vor seine Richter tritt. Und wenn man sich dann vorstellt, dass sich an diesem Tag die beiden größten Redner ihrer Zeit ein Duell Mann gegen Mann liefern würden (»Wahrhaftig ein Zweikampf von allererster Güte«, wie Cicero später anmerkte), dann kann man vielleicht erahnen, welche Atmosphäre an jenem Morgen im Gerichtshof für Erpressungen geherrscht hatte. Um sich einen guten Platz zu sichern, hatten Hunderte Zuschauer schon auf dem Forum übernachtet. Als die Sonne aufging, gab es bereits keinen Stehplatz im Schatten mehr, und eine Stunde später gab es überhaupt keinen Stehplatz mehr. In der Säulenhalle und auf den Stufen des Castor-Tempels, auf dem Forum selbst und ringsum in den Säulengängen, auf den Dächern und Balkonen der Häuser und an den Flanken der Hügel drängten sich die Bürger Roms - jede freie Lücke, in die man sich noch quetschen, jedes freie Plätzchen, auf das man sich noch setzen konnte, war besetzt.
Wie zwei Hirtenhunde hechelten Frugi und ich herum und trieben unsere Zeugen vor Gericht. Und was für ein exotisches, farbenprächtiges Bild sie abgaben, in heiligen Roben und traditionellen Gewändern ihrer Heimat, Opfer aus allen Phasen von Verres ' Laufbahn, nach Rom gelockt von der Hoffnung auf Vergeltung - Priester der Juno und Ceres, die Mystagogen der syrakusischen Minerva und der heiligen Jungfrauen der Diana; griechische Edelleute, deren Abstammung auf Cecrops oder Eurysthenes oder die großen ionischen and minoischen Häuser zurückging; Phönizier, deren Vorfahren Priester des Melkart von Tyros gewesen waren oder die behaupteten, mit dem Messias aus Sidon verwandt zu sein; Scharen ungeduldiger, verarmter Erben in Begleitung ihrer Vormünder; bankrotte Bauern, Getreidehändler und Bootsbesitzer; wehklagende Väter, deren Kinder man in die Sklaverei verschleppt hatte; trauernde Kinder, deren Eltern in den Verliesen des Statthalters den Tod fanden; Abordnungen vom Fuß des Taurusgebirges, von den Ufern des Schwarzen Meeres, aus vielen Städten des griechischen Festlandes, von den Inseln der Ägäis und natürlich aus jeder Stadt und jedem Marktflecken Siziliens.
Ich war so damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass jeder Zeuge eingelassen und jede einzelne Kiste mit Beweismaterial an seinen Platz gelangte und gut bewacht wurde, dass ich erst nach und nach registrierte, welches Schauspiel Cicero hier inszenierte. Besagte Kisten, zum Beispiel, enthielten die in praktisch allen sizilischen Städten von den Gemeindeältesten zusammengetragenen Aussagen. Erst als die Geschworenen sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnten und auf ihren Bänken Platz nahmen, wurde mir klar, warum Cicero - begnadeter Selbstdarsteller, der er war - darauf bestanden hatte, alles auf einmal an Ort und Stelle zu schaffen. Das Gericht war überwältigt. Selbst den beinharten Alten wie Catulus und Isauricus war die Überraschung anzusehen. Glabrio, der im Schlepptau seiner Liktoren aus dem Tempel kam, blieb auf der obersten Stufe der Treppe abrupt stehen und wich schwankend sogar einen halben Schritt zurück, als er auf die Wand aus Gesichtern blickte.
Cicero, der sich bis zum letzten Augenblick am Rand des Forums aufgehalten hatte, drängte sich nun durch die Menge und stieg die Stufen zu der Bank für die Anklagevertretung hinauf. Plötzlich herrschte Ruhe, ein stummes erwartungsvolles Zittern lag in der reglosen Luft. Ohne auf die ermunternden Zurufe seiner Anhänger zu reagieren, drehte er sich um, hielt gegen die Sonne die Hand über die Augen, ließ den Blick langsam über die Menge schweifen und blinzelte rechts und links nach oben in den Himmel - so stelle ich mir einen General vor, der vor der Schlacht die allgemeine Lage und den Stand der Wolken überprüft. Dann setzte er sich, und ich postierte mich in seinem Rücken, sodass
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