Imperium
man ebenfalls eine Vorliebe für Weib und Gesang nachsagte. Es hatte den Anschein, als sei Cicero da in ein wahrhaftiges Veteranentreffen geraten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er sich in dieser Gesellschaft sonderlich wohlgefuhlt hatte. Nur der ernste und gebildete Varro - der Mann, wie Cicero einmal scharf angemerkt hatte, ohne den Pompeius nicht mal den Weg zum Senatsgebäude gefunden hätte - konnte als einigermaßen geistesverwandter Gesprächspartner für Cicero in Betracht kommen, zumal er nüchtern das Haus verließ. Cicero erschien als Letzter. Er machte sich sofort auf den Heimweg, und ich heftete mich an seine Fersen. Er hielt sich wieder die Hand vor die Nase, da weder die Hitze noch der Geruch erträglicher geworden waren. Als Pompeius ' Haus in sicherer Entfernung hinter uns lag, lehnte er sich in einer Gasse an eine Hauswand und übergab sich.
Ich fragte ihn, ob ich ihm irgendwie behilflich sein könne, doch er schüttelte nur den Kopf und antwortete: »Alles in Ordnung.« Das war alles, was er sagte, und das war auch alles, was er zu Quintus sagte, der uns schon ungeduldig erwartet hatte. »Alles in Ordnung.«
Im Morgengrauen des folgenden Tages gingen wir wieder zum zwei Meilen entfernten Marsfeld. Die zweite Wahlrunde stand an. Obwohl diese weniger prestigeträchtig war als die für das Konsulat und die Prätur, war sie ungleich spannender. Vierunddreißig Männer waren zu wählen (zwanzig Senatoren, zehn Volkstribunen und vier Ädile), was hieß, es gab einfach zu viele Kandidaten, als dass man die Abstimmung ohne Schwierigkeiten hätte manipulieren können. Außerdem zählte die Stimme eines Aristokraten ebenso viel wie die eines Bewohners der Elendsviertel, und somit war alles möglich. Die Leitung dieser zusätzlichen Wahlgänge oblag Crassus, dem zweiten Konsul. »So eine Wahl zu fälschen, das schafft wahrscheinlich nicht mal Crassus«, sagte Cicero düster, als er seine roten Lederschuhe anzog.
Er war schon geistesabwesend und gereizt aufgestanden. Was auch immer er am Vorabend mit Pompeius vereinbart hatte, es hatte seine Nachtruhe gestört. Seinen Diener blaffte er an, er hätte seine Schuhe nicht ordentlich geputzt. Cicero zog die gleiche blütenweiße Toga an, die er an jenem Tag vor sechs Jahren getragen hatte, als er zum ersten Mal in den Senat gewählt worden war, und bevor er das Haus verließ, holte er tief Luft, als machte er sich darauf gefasst, eine schwere Bürde zu schultern. Quintus hatte einmal mehr großartige Arbeit geleistet, denn vor dem Haus wartete eine ansehnliche Menschenmenge, die uns zu den Wahlurnen begleiten würde. Da an diesem Tag auch die Bürgerlisten auf den neuesten Stand gebracht wurden, waren Zehntausende in die Stadt geströmt, um sich registrieren zu lassen, sodass es auf dem Marsfeld bis hinunter zum Fluss vor Menschen wimmelte, als wir eintrafen. Es mussten Hunderte von Kandidaten sein, die sich für die vierunddreißig Posten bewarben, und diese zogen jetzt zusammen mit ihren Freunden und Anhängern kreuz und quer über das riesige Gelände, um vor Wahlbeginn auch noch die letzte Stimme für sich zu gewinnen. Auch Verres war schon da, sein Rotschopf war nicht zu übersehen. Begleitet von seinem Vater, seinem Sohn sowie dem Freigelassenen Timarchides - der Rohling, der in unser Haus eingedrungen war -, hetzte er zwischen den Wählern hin und her und machte jedem, der nicht für Cicero stimmen würde, die fantastischsten Versprechungen. Als Cicero das sah, schien seine üble Laune wie weggeblasen. Sofort mischte er sich unters Volk und ging auf Stimmenfang. Obwohl ich einige Male befürchtete, dass sich die Wege unserer beiden Gruppen kreuzen würden, kam es doch nie so weit. Die Menschenmenge war einfach zu groß. Nachdem der Augur sein Einverständnis erteilt hatte, trat Crassus aus dem geweihten Zelt, und die Kandidaten versammelten sich vor seinem Podium. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass einer von ihnen Julius Caesar war, der sich zum ersten Mal um einen Sitz im Senat bewarb und in diesem Moment mit Cicero plauderte. Beide Männer kannten sich schon lange, und Caesar, der sechs Jahre jünger als Cicero war, hatte auf dessen Empfehlung hin bei Apollonius MoIon auf Rhodos Rhetorik studiert. Inzwischen verklären Caesars frühe Jahre ja alle möglichen Legenden. Das geht so weit, dass man glauben könnte, seine Zeitgenossen hätten schon im Säugling in der Wiege das Genie erkannt. Was aber nicht der Wahrheit entspricht. Wer ihn
Weitere Kostenlose Bücher