Imperium
an jenem Morgen in seiner weißen Toga sah, wie er nervös an seinem schütteren Haar zupfte, der hätte sich schwergetan, in ihm etwas anderes zu sehen als in jedem anderen der gebildeten, jungen Kandidaten. Einen großen Unterscheid gab es allerdings: Wahrscheinlich waren nur wenige so arm wie er. Um zur Wahl antreten zu können, hatte er sich bestimmt hoch verschulden müssen, denn er lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen in Subura, in einem Frauenhaushalt, zusammen mit Mutter, Frau und Tochter. Den Caesar von damals stelle ich mir nicht als strahlenden Helden vor, der nur darauf wartet, Rom zu erobern. Eher als einen dreißigjährigen Mann, der vor lauter Straßenlärm in seinem Armenviertel nachts keinen Schlaf findet und bitteren Gedanken darüber nachhängt, warum er, Spross der ältesten Familie Roms, in solchen Verhältnissen dahinvegetieren muss. Deshalb war seine Abneigung gegen die Aristokraten für diese weit gefährlicher, als es die von Cicero jemals war. Cicero war ein Mann, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, deshalb ärgerte er sich über die Aristokraten und beneidete sie gleichzeitig. Caesar jedoch, der sich als direkten Nachfahren der Venus sah, betrachtete sie mit Abscheu, er hielt sie für Eindringlinge.
Aber ich greife vor, außerdem begehe ich den gleichen Fehler wie die Hagiografen, die mit dem verzerrenden Licht der Zukunft in das Dunkel der Vergangenheit leuchten. Ich will an dieser Stelle einfach festhalten, dass diese beiden herausragenden Männer, die zwar sechs Lebensjahre trennten, aber hinsichtlich Verstand und Weltanschauung viel gemein hatten, freundlich miteinander plaudernd in der Sonne standen, während Crassus das Podium bestieg und das vertraute Gebet sprach: »Möge diese Angelegenheit für mich, für meine höchsten Ziele, für mein Amt und für die Menschen Roms zu einem guten und zufriedenstellenden Ende gelangen!« Damit war die Wahl eröffnet.
Traditionell stimmten die Wähler aus dem Wahlbezirk Subura als Erste ab. Trotz seiner jahrelangen Bemühungen um ihre Belange entschieden sie sich jedoch nicht für Cicero. Das muss ein harter Schlag für ihn gewesen sein, legte er doch nahe, dass Verres ' Stimmenkäufer gute Arbeit für ihr Geld geleistet hatten. Aber Cicero zuckte nur mit den Achseln: Er wusste, dass die Augen vieler einflussreicher Männer, die ihre Stimme noch abgeben mussten, auf ihn gerichtet waren und es deshalb wichtig war, den Anschein von Zuversicht zu wahren. Danach waren die drei anderen Stadtbezirke an der Reihe: Esquilina, Collina und Palatina. Cicero erhielt die Mehrheit der beiden ersten, der dritte stimmte nicht für ihn. Was kaum verwunderte, da Palatina das Viertel Roms mit den meisten aristokratisch gesinnten Wählern war. Es stand also zwei zu zwei, ein weniger spannender Auftakt wäre ihm lieber gewesen. Dann folgten nacheinander die einunddreißig ländlichen Bezirke: zuerst Aemilia, Camilia, Fabia und Galeria … Aus unseren Akten wusste ich bestens über sie Bescheid, ich kannte die Schlüsselpersonen, wusste, wer Cicero noch eine Gefälligkeit schuldete und wem er noch eine schuldig war. Drei der vier stimmten für Cicero. Quintus flüsterte Cicero etwas ins Ohr. Zum ersten Mal durfte sich Cicero etwas entspannen, da Verres ' Geld für die Wähler vom Land offenbar keine so große Versuchung gewesen war wie für die städtischen. Horatia, Lemonia, Papiria und Menenia … ein Bezirk nach dem anderen. Die Sonne brannte, die Luft war staubtrocken. Cicero saß auf einem Hocker, erhob sich aber jedes Mal, wenn die Wähler an ihm vorbeigingen, die gerade ihre Stimme abgegeben hatten, kramte aus seinem Gedächtnis ihre Namen hervor, bedankte sich bei ihnen und ließ ihren Familien die besten Grüße ausrichten. Sergia, Voltina, Pupina, Romilia … Wie zu erwarten unterlag Cicero in Verres ' Heimatbezirk Romilia, hatte aber am Nachmittag schon sechzehn Bezirke gewonnen, sodass ihm zum Sieg nur noch zwei fehlten. Verres gab sich jedoch noch nicht geschlagen. Ich konnte sehen, wie er zusammen mit seinem Sohn und Timarchides nach wie vor Wähler bearbeitete, die noch nicht abgestimmt hatten. Eine schrecklich lange Stunde hatte es den Anschein, als könnte das Ergebnis noch kippen. Die Sabitini stimmten nicht für Cicero, und auch Publilia ging verloren. Als Cicero in Scaptia die Mehrheit nur hauchdünn verfehlt hatte, war es schließlich der Bezirk Falerna aus dem nördlichen Kampanien, der ihm den entscheidenden Sieg brachte: Dreißig
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