Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
Abnahme der Masernerkrankungen. In Skandinavien, den ehemaligen Ostblockländern (außer Rumänien und Bulgarien), den Niederlanden und Portugal gibt es kaum noch Masernfälle, und auch in Deutschland ist seit 2002/03 ein dramatischer Rückgang der Masern zu beobachten.
Dies ist jedoch eine labile Situation, die sogenannte »Honeymoon-Phase«. Nach Erfahrungen aus der Praxis und nach mathematischen Berechnungen besteht künftig die Gefahr von Masernausbrüchen gerade unter den besonders gefährdeten Säuglingen und Erwachsenen. Die Massenimpfung gegen Masern erfüllt nicht das Kriterium der Nachhaltigkeit. Das einmal begonnene Impfprogramm ist nicht fehlerfreundlich, sondern erzwingt eine anhaltende und möglichst weitgehende »Durchimpfung«.
Nicht jeder hat nach der ersten Masernimpfung einen Schutz. In der Fachsprache spricht man vom »primären Impfversagen«, von dem 5 bis 10 Prozent der Geimpften betroffen sind – unter Umständen sogar trotz messbarer Antikörper. In den USA war in den späten achtziger Jahren jeder zweite Masernkranke ein Heranwachsender oder Erwachsener, der als Kind an einer Masernimpfung teilgenommen hatte.
Seit den neunziger Jahren ist eine zweite Masernimpfung empfohlen, um möglichst viele Impfversager doch noch zu schützen und um den Schutz der einmal Geimpften weiter zu verbessern. Auf die zweite Impfung sprechen über 80 Prozent derer an, die nach der ersten Impfung keine Antikörper entwickelt hatten ( WHO 2009).
Trotzdem ist auch dann der Schutz nicht hundertprozentig. Bei einer Masernepidemie auf den Marshallinseln in der Südsee wurde die Effektivität einer einmaligen Impfung mit 92 Prozent, die von zwei Impfungen mit 95 Prozent berechnet – dies jedoch in einer Region, in der Masern noch vorkommen und den Schutz der Geimpften verstärken (Marin 2006). In der Ukraine kam es 2005 zu nahezu 20000 Masernfällen. Dabei erkrankten mehrheitlich Jugendliche und Erwachsene, von denen 36 Prozent zweimal geimpft waren (Spika 2006). Bei einem Masernausbruch 2006 in Nordrhein-Westfalen waren 6 Prozent der Erkrankten zweimal geimpft.
In Finnland erkrankten 1998 22 Schüler trotz zweimaliger Impfung an Masern. Sie wurden während einer Schulversammlung in einer »schlecht belüfteten Halle ohne Tageslicht« von einem frisch Erkrankten angesteckt. Anscheinend kann es bei intensivem Kontakt trotz Impfung zu »astronomischen Ansteckungsraten« (Paunio 1998) kommen, wobei der Krankheitsverlauf durch die vorausgegangenen Impfungen nicht einmal abgeschwächt wird. Der finnische Infektiologe Mikko Paunio meint dazu:
»Sekundäres Masernimpfversagen ist häufiger als bisher angenommen, vor allem bei Individuen, die früh im Leben oder vor längerer Zeit geimpft wurden, und auch bei mehrfach Geimpften. Die – wegen des fehlenden Booster-Effekts durch die natürliche Maserninfektion – nachlassende Immunität auch bei Individuen, die nach dem fünfzehnten Lebensmonat geimpft wurden, sollte als relevantes Szenario in der Planung der künftigen Masernimpfstrategie berücksichtigt werden« (Paunio 2000).
Die Zahl sekundärer Impfversager wird also wahrscheinlich noch zunehmen, da durch den Wegfall der Masern die natürliche »Auffrischung« unterbleibt. Dies ist auch der Grund, warum selbst Mütter, die als Kind Masern hatten, ihren Kindern heute keinen guten Nestschutz mehr mitgeben, obwohl sie selbst einen lebenslangen Schutz haben.
Die primären und sekundären Impfversager gefährden den Erfolg der Masernimpfung und verhindern die Ausrottung der Masern. Die euphorischen Erfolgsmeldungen früherer Jahre gründeten sich darauf, dass noch Auffrischungen (»Boosterung«) durch die natürlichen Masern stattfanden, so wie das in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern heute noch der Fall ist.
Gelegentliche Masernausbrüche sind für die Gesellschaft einerseits von Vorteil, da sie den Schutz der Geimpften boostern. Sie gefährden andererseits die Säuglinge und die immer größer werdende Gruppe von nicht immunen Erwachsenen. Wenn Eltern ihr Kind nicht gegen Masern impfen lassen wollen, sollte daher zumindest ihre eigene Immunität gegen Masern gesichert sein.
Mit keiner Impfstrategie wird es gelingen, die Bevölkerung langfristig sicher vor Masern zu schützen. Selbst wenn man 95 Prozent der Bevölkerung zweimal impft, kommen 10 Prozent jedes Jahrgangs ungeschützt ins Erwachsenenalter und können bei Masernkontakt erkranken. In Deutschland sind das in jedem Jahrgang 70000
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