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Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Titel: Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Hirte
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Erwachsene, die gewissermaßen auf der »Zeitbombe Masern« sitzen. Im Vergleich dazu hatten vor Einführung der Masernimpfung 99 Prozent der Fünfzehnjährigen die Masern durchgemacht und somit einen lebenslangen Schutz vor einer erneuten Masernerkrankung.
    In dieser Situation hilft nur noch die Flucht nach vorn: ein Impfprogramm für möglichst viele, das bis in die Unendlichkeit fortgesetzt werden muss, um eine Krankheit weitgehend zu kontrollieren, die sich nicht ausrotten lässt. Der finnische Infektiologe Heinonen führt dazu aus:
     
    »Die komplette Unterbrechung der Viruszirkulation hat ein neues Problem mit sich gebracht: Die Geimpften haben so wenig Gelegenheit zur natürlichen Boosterung, dass das Schwinden des Impfschutzes Realität geworden ist. Da weiterhin das Risiko der Maserneinschleppung aus dem Ausland besteht, bleibt als einziges Instrument gegen einen Ausbruch die Aufrechterhaltung einer hohen Durchimpfung und als Minimalstrategie die Fortführung des zweidosigen Impfschemas« (Heinonen 1998).
    Wann impfen?
    Falls dies gelingt und der Herdenschutz einigermaßen verlässlich ist, gibt es eine neue Option für ein individuelles Impfvorgehen: Eltern könnten mit der Masern-(oder MMR -)Impfung ihres Kindes warten, bis sein Immunsystem mit dem dritten Geburtstag weitgehend stabil ist und auch das Fieberkrampfrisiko sinkt. Bei sehr starken Bedenken gegen die Impfung könnten die Eltern auch erst einmal zuwarten und dann impfen, wenn Masernerkrankungen am Wohnort gemeldet werden: Die Masernimpfung wirkt sofort.
    Ein wichtiger Grund erfordert unter Umständen allerdings einen früheren Impfzeitpunkt: Mit der Geburt des nächsten Kindes ist für die älteren Geschwister ein Masernschutz ratsam, damit sie das Baby nicht anstecken und dadurch in Lebensgefahr bringen.
    Wegen der zunehmenden Komplikationsgefahr sollte jedes Kind spätestens mit zehn Jahren gegen Masern geimpft sein. Ist nach der ersten Impfung der Maserntiter hoch (über 1000 IE /l), dann kann man mit der zweiten Impfung noch zuwarten. Erwachsene sollten jedoch für eine möglichst sichere Immunität zweimal geimpft sein (Paunio 2000, Vandermeulen 2007).
    Eines der Hauptargumente für die Masernimpfung, nämlich der Rückgang der Enzephalitis, ist im Übrigen strittig: In Finnland nahmen nach Einführung der Masernimpfung die Fälle von Masern-Enzephalitis zwar drastisch ab, stattdessen jedoch häuften sich die Fälle von Enzephalitis durch andere Viren, so dass die Rate insgesamt gleich blieb (Koskiniemi 1997). Die Lücke, die die Masernimpfung erzeugt hat, hat sich also rasch wieder gefüllt – ein Beleg für die Tatsache, dass nicht der Erreger, sondern das »Terrain«, also die Krankheitsbereitschaft, die entscheidende Rolle spielt.
    Wegen der hohen Masernsterblichkeit in Entwicklungsländern sind dort Impfprogramme zu begrüßen; noch wünschenswerter allerdings wäre eine Ernährungslage, die Kinder vor Komplikationen von Infektionskrankheiten besser schützt.
    Zunahme der Masern im Säuglingsalter
    Die Massenimpfung gegen Masern hat dazu geführt, dass heute Kinder im ersten Lebensjahr kaum noch einen Nestschutz haben. Auch Mütter, die selbst in ihrer Kindheit die Masern durchgemacht haben, vermitteln diesen Schutz nicht mehr, da bei ihnen wegen des fehlenden Kontakts mit Masern die Antikörper ebenfalls absinken (Hohendahl 2006). Die Halbwertszeit des Nestschutzes beträgt 40 bis 60Tage. Bei Antikörpertitern von um die 8000 IE /l, wie sie früher bei Schwangeren üblich waren, dauerte es acht bis zwölf Monate, bis die Werte beim Kind unter die kritischen 200 IE /l abgesunken waren, während die heute üblichen Titer von 500 IE /l nur noch einen Nestschutz von durchschnittlich zwei Monaten vermitteln.
    Mit zunehmender Durchimpfung steigt daher prozentual der Anteil an Säuglingen, die sich mit Masern infizieren. In den USA war zuletzt jeder vierte Masernkranke unter zwölf Monate alt, und die Hälfte der gemeldeten Masernfälle gehörte zu den Risikogruppen der Säuglinge und Erwachsenen (Haney 1992, Gold 1997). Bei einer Masernepidemie in Barcelona 2006/07 waren 123 der 213 Erkrankten unter 15Monate alt (Torner 2007).
    Die Masernimpfung kann jedoch nicht immer weiter vorverlegt werden, da sie vor dem Alter von neun Monaten zu keiner ausreichenden Antikörperbildung mehr führt (Gans 1998). Säuglinge sind heute also mehr von Masern bedroht als je zuvor. Von daher ist bei jeder Geburt die Impfung der älteren Kinder im Haushalt

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