Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
dem Alter von acht Wochen, einen umfangreichen Impfkalender mit derzeit (2012) zwölf Impfstoffen, die in bestimmten Abständen und Kombinationen mehrfach verabreicht werden sollen (die aktuellen Impfempfehlungen finden sich im Anhang dieses Buches). Bis zum 15. Lebensmonat summiert sich das auf derzeit 37 Einzelimpfstoffe. Ähnliche Impfpläne gibt es in der Schweiz und in Österreich.
In den Impfempfehlungen schlägt sich das Interesse der staatlichen Behörden und auch überstaatlicher Organisation wie der Weltgesundheitsorganisation WHO an möglichst vielen und breit akzeptierten Impfungen nieder. Diese Politik verfolgt in erster Linie epidemiologische und ökonomische Ziele:
die Ausrottung von weltweit verbreiteten Krankheiten,
die Vermeidung von statistisch zu erwartenden Todesfällen und Krankheitskomplikationen,
das Wegimpfen von Krankheiten, die im Vergleich mit den Impfkosten zu erhöhten Kosten im Gesundheitssektor und im sozialen Bereich führen – gemäß sogenannter »Kosten-Nutzen-Analysen« –, und
den Schutz der Allgemeinheit vor Seuchen durch Schaffung einer »Herdenimmunität« in der Bevölkerung. Herdenimmunität bedeutet, dass durch die Impfung eines Großteils der Bevölkerung auch für die Ungeimpften die Erkrankungswahrscheinlichkeit sinkt.
Werkzeug zur Durchsetzung dieser Ziele sind Massenimpfungen, an denen möglichst alle teilnehmen sollen. Die Vorbedingungen dafür sind die Zulassung geeigneter Impfstoffe, die öffentlichen Impfempfehlungen und die gezielte Überzeugungsarbeit in Arztpraxen und Massenmedien.
Medizinethiker argumentieren, der Herdenschutz, den eine hohe Impfrate gewährt, stelle ein öffentliches Gut dar, an dem man teilhat; das impliziere aber auch die moralische Verpflichtung, zu diesem Gut beizutragen, indem man sich selbst oder seine Kinder impfen lässt. Die Belange der Allgemeinheit decken sich jedoch nur teilweise mit den Interessen des Einzelnen. Dem geht es in erster Linie um eine möglichst gute Lebensqualität, den Eltern eben hauptsächlich darum, dass ihre Kinder von Krankheits- oder Impfkomplikationen verschont bleiben, sich seelisch, geistig und körperlich gut entwickeln und ohne bleibende Schäden groß werden.
Es ist eine Gewissensfrage, ob man sich unter diesen Umständen gesellschaftlichen Zielen wie Krankheitsausrottung und Kostenvermeidung unterordnen will – ein Kind könnte ja im Extremfall auch durch eine Impfung zu Schaden kommen oder sich durch die Vermeidung bestimmter Krankheiten andere, schwerwiegendere Leiden zuziehen. Zwar drohen auch durch Krankheiten körperliche Schäden, Behinderungen oder im Extremfall sogar der Tod. Doch selbst wenn man die Risiken von Krankheit oder Impfung exakt beziffern könnte – umfassende und korrekte Erhebungen und Statistiken vorausgesetzt –, wäre damit noch nichts über die konkrete Gefährdung des Einzelnen ausgesagt.
Angesichts der inflationären Impfempfehlungen sind viele Eltern misstrauisch geworden. Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vom Herbst 2010 sind 36 Prozent der Eltern in Deutschland skeptisch gegenüber Impfungen im Kindesalter und haben sich gegen einzelne Impfungen entschieden ( BZ gA 2011). Sogar in den impffreudigen USA sind nach einer Umfrage 52 Prozent der Erwachsenen besorgt und davon die Hälfte sehr besorgt, was die Sicherheit der Impfstoffe im Kindesalter angeht (Rasmussen Reports 2010). 10 bis 20 Prozent der amerikanischen Eltern verschieben den Impfbeginn oder verzichten auf empfohlene Impfungen.
Der einzige akzeptable Weg ist das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Fragen der eigenen Gesundheit. In der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 1986 heißt es in diesem Sinne:
»Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben, sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen« ( WHO 1986).
Nachdem es seit Aufhebung der Pockenpflichtimpfung 1982 in Deutschland, Österreich und der Schweiz – im Gegensatz etwa zu Italien, einigen osteuropäischen Ländern oder den USA – keine Impfpflicht mehr gibt, liegt heute die Entscheidung für oder gegen Impfungen beim Einzelnen, im Fall von Kindern bei ihren Eltern, und zwar bei beiden Elternteilen: Nach einem
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