In aller Unschuld Thriller
grünen Sessel, der gleich bei der Tür stand. Kovac forderte Liska auf, sie solle den Notarzt rufen.
Liska zog ihr Handy aus der Jackentasche, Haas winkte jedoch ab.
»Nein, es geht schon wieder.«
»Den Eindruck machen Sie aber nicht«, meinte Kovac.
Bobby Haas beugte sich zu seinem Vater hinunter. »Es ist sein Blutdruck. Wenn er sich aufregt, schießt er in die Höhe. Es geht ihm gleich wieder gut. Oder, Dad? Dir geht es doch gleich wieder gut, nicht?«
Haas holte ein paarmal tief Luft und nickte müde, die Augen auf den Fußboden gerichtet. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Stirn war schweißbedeckt.
Kovac sah den Jungen an. »Hol deinem Vater ein Glas Wasser.«
Liska folgte ihm.
Kovac ging neben Wayne Haas' Sessel in die Hocke, so dass er dem Mann ins Gesicht schauen konnte. »Wollen Sie wirklich nicht ins Krankenhaus?«
»Gehen Sie«, flüsterte Haas. »Verschwinden Sie einfach von hier.«
»Es tut mir leid, dass wir Sie so aufgeregt haben«, sagte Kovac. »Es gibt Zeiten, da hasse ich meinen Job. Aber wir müssen Sie das leider fragen. Wenn wir nicht jede Kleinigkeit genau überprüfen, kann ein Fall niedergeschlagen werden. Sie haben es selbst erlebt, unser Justizapparat ist nicht dazu da, Leuten wie Ihnen oder mir zu helfen.«
»Ich möchte nur, dass das alles vorbei ist«, sagte Haas. »Wäre ich an diesem Tag doch auch gestorben.«
»Sie haben einen Sohn, für den Sie da sein müssen.«
Haas ließ den Kopf hängen.
In diesem Moment kehrten Bobby Haas und Liska zurück, und der Sohn reichte seinem Vater ein Glas Wasser. Liska warf Kovac einen Blick zu und nickte zur Tür. Sie traten auf die Veranda, und Kovac schloss die Tür hinter ihnen.
»Der Junge wird seinen Vater das fragen, was wir wissen wollen, und dann zu uns rauskommen«, sagte Liska. »Ich dachte, das wäre besser, als wenn wir den armen Mann befragen und ihn vor unseren Augen der Schlag trifft.«
»Was sagt der Junge, wo er gewesen ist?«
»Er hat sich nach der Schule noch mit einem Freund rumgetrieben, und später sind sie zu einem Basketballspiel gegangen. Er macht sich Sorgen um seinen Vater, meint, dass er nicht besonders gesund ist. Das alles hätte ihn furchtbar mitgenommen.«
»Der arme Kerl«, murmelte Kovac und fischte mit dem Finger in einer Innentasche seiner Jacke herum. Bingo. Er zog eine Zigarette heraus und rollte sie zwischen den Fingern, als riebe er an einem Talisman. »Was ist mit dem Jungen? Wie steht er das alles durch?«
»Er ist nervös. Vielleicht wegen seines Vaters. Vielleicht wegen uns. Er ist siebzehn, und er gehört dem männlichen Geschlecht an, was ihn zu einem potenziellen Kandidaten macht, so dumm zu sein und eine Richterin zusammenzuschlagen.«
Kovac sah sie genervt an. »Lass dein trostloses Liebesleben nicht an mir aus. Kann ich was dafür, dass du mit einem Anwalt zusammen bist?«
»Daran sieht man nur, wie verzweifelt ich bin!«, murmelte sie. »Wenn ich mich schon damit begnügen muss, was niemand sonst wollte.«
»Das kann man nun auch wieder nicht sagen … du hast mich noch nicht gefragt, ob ich mit dir ausgehen will.«
»Vielleicht sollte ich das. Du bist der einzige Mann, den ich kenne, der zurückruft.« Sie blickte auf seine Hand. »Hast du nicht vor drei Stunden aufgehört zu rauchen?«
Kovac runzelte die Stirn. »Es sind inzwischen drei Tage, und ich rauche ja auch gar nicht.«
Liska reckte den Hals und warf einen Blick ins Wohnzimmer zu den beiden Männern. Wayne Haas saß noch immer in dem Sessel und bedeckte mit einer Hand seine Augen, während er mit der anderen die Schulter seines Sohnes umklammert hielt. Bobby tätschelte seinem Vater beruhigend das Knie, eine sehr erwachsene Geste.
»Der Junge macht nach außen hin einen recht ausgeglichenen Eindruck, wenn man die Umstände bedenkt«, sagte sie leise. »Was meiner Meinung nach nur bedeuten kann, dass er seelisch einen ziemlichen Schaden davongetragen haben muss.«
»Wer hat den nicht?«
»Das mag auf dich zutreffen, ich bin bei bester geistiger Gesundheit.«
»Stimmt«, sagte Kovac und blickte auf seine Zigarette. »Ich dagegen bin ein Wrack und auch noch stolz darauf. Ich habe lange daran gearbeitet, um dieses Ausmaß an neurotischem Verhalten zu erreichen.«
»Er kommt«, flüsterte Liska.
Bobby Haas schlüpfte durch die Haustür auf die Veranda und schloss behutsam die alte Fliegengittertür hinter sich. Er war ein hübscher Junge mit einem dunklen Lockenkopf und ernsten braunen Augen.
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