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In aller Unschuld Thriller

In aller Unschuld Thriller

Titel: In aller Unschuld Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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freiwillig einen zweiten Blick an einen Obdachlosen.
    Von dem Besitzer des Einkaufswagens war nichts zu sehen. Wahrscheinlich trieb er sich noch irgendwo herum oder bettelte vor Restaurants, vor denen kein Türsteher stand.
    Dahl machte sich daran, den Einkaufswagen zu durchwühlen. Eine Mülltüte voll Dosen. Eine weitere mit Bier- und Schnapsflaschen. Zwischen die Falten einer alten Decke geschoben fand er eine Flasche Bourbon, in der sich noch ein Rest befand, und bediente sich. Vielleicht würde der Whiskey ja gegen seine pochenden Kopfschmerzen und die raue Kehle helfen.
    »He! Das gehört mir!« Die empörte Stimme kam von der Treppe, unter einem Stapel ausgemusterter Möbelstoffe hervor. Die Stoffe raschelten und bewegten sich und gaben den Blick auf einen Haufen Lumpen und verfilzte Haare frei.
    »Du darfst das nicht einfach nehmen. Papst Clemens hat es mir geschenkt!«
    Der Mann ging mit wild rudernden Armen auf Dahl los und riss den Mund zu einem Schrei auf. Ohne zu zögern, hieb Dahl mit der Bourbon-Flasche, so fest er konnte, auf den Kopf des Mannes ein.
    Der Penner sank ohne einen Laut auf die Knie und fiel gegen Dahl. Der stolperte, fand aber sofort sein Gleichgewicht wieder und stürzte sich auf den Penner. Er schlug auf ihn ein, bis er spürte, wie der Schädel des Mannes nachgab und unter dem schweren Glas der Flasche splitterte. Doch auch dann hörte er nicht auf, sondern schlug weiter auf ihn ein, als wäre die Flasche ein Hammer, bis nichts mehr da war, das brechen könnte.
    Erschöpft hockte er sich auf die unterste Stufe der Treppe und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er schwitzte und zitterte, fühlte sich schwindlig. Als er sich mit der Hand übers Gesicht strich, war sie ganz klebrig von dem Blut und der Hirnmasse des Mannes.
    Dahl zog den Leichnam unter die Stufen und stolperte dabei über eine Flasche, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Karl öffnete sie und roch daran. Branntwein. Er wusch sich damit das Blut vom Gesicht und den Händen, und den letzten Rest trank er.
    Stück für Stück entkleidete er den Toten, erst den Mantel, dann das Hemd und das T-Shirt. Er schlüpfte schnell aus seiner Gefängniskleidung und streifte die Klamotten über, die nach Schweiß, Bourbon, Urin und Fäkalien stanken.
    Der Mann hatte einige Geldscheine in der Unterhose mit sich herumgetragen, mit Klebeband an seinen Hoden befestigt. Dahl nahm es – es war noch warm vom Körper seines Opfers – , zählte ein paar Scheine ab und steckte sie sich in die Hosentasche. Den Rest verbarg er an derselben Stelle wie der Tote.
    Er bedeckte den Leichnam mit den staubigen Resten des Möbelstoffs, aus dem die Bettstatt des Mannes bestanden hatte, und versteckte auch seine Gefängniskleidung darunter, anschließend ging er noch einmal zu dem Einkaufswagen, um zu sehen, ob sich vielleicht weitere nützliche Dinge darin befanden.
    Zuerst entdeckte er ein Steakmesser mit einer stabilen Klinge, das er in seine Manteltasche schob. Dann fand er eine Strickmütze, die er sich über den Kopf zog, leise stöhnend, als die Wolle über seine Wunden rieb. Die Vorstellung, dass sie wahrscheinlich völlig verlaust war, jagte ihm einen Schauer über den Rücken, aber er hatte keine andere Wahl. Er hatte bei nichts eine Wahl, wenn er am Leben bleiben wollte.
    Mit den Händen rieb er über den verdreckten Asphalt, dann fuhr er sich damit übers Gesicht und verteilte den Dreck darauf. So brachte er sich zum Verschwinden, ohne sich verstecken zu müssen. Er wusste, wie das ging. Er wusste, wie man sich unsichtbar machte. Er war ein unauffälliger Mann mit einem völlig ausdruckslosen Gesicht, das man sofort wieder vergaß. Die Leute sahen gerne durch ihn hindurch.
    Im Moment war es ihm unmöglich, die Stadt zu verlassen. An jeder Busstation, jedem Bahnhof, jeder Ausfallstraße hatte garantiert die Polizei Posten bezogen. Vielleicht errichteten sie sogar Straßensperren. Sie erwarteten bestimmt, dass er zu fliehen versuchte. Sein Foto würde überall auftauchen, ein Foto, auf dem er sauber rasiert und mit bloßem Kopf zu sehen war. Aber das war nicht mehr er. Und er würde auch nicht fliehen.
    Dahl schien es im Moment das Beste zu sein, wenn er blieb, wo er war. Die Cops waren in dieser Gasse schon gewesen. Man hatte ihnen ja bereits von dem Penner erzählt, der unter der Treppe schlief. Er wusste es natürlich nicht genau, aber er schätzte, dass die Polizisten auf ihrem Rückweg hier angehalten und nachgesehen hatten.

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