In aller Unschuld Thriller
Gefahr gewesen, das Titelbild von Gentleman's Quarterly zu schmücken. Er gab wenig Geld für seine Anzüge aus und für seine Haarschnitte noch weniger. Sein Aussehen schien ihm ganz egal zu sein. Sie wettete, dass er niemals viertausenddreihundert Dollar bei Bloomingdale's für sich oder eine Frau ausgegeben hatte. Und ohne ihn fragen zu müssen, wusste sie, dass er kaum etwas anderes als Verachtung für Politiker und Vorgesetzte, kurz, alle Leute, die über ihm rangierten, übrig hatte.
Er konnte nicht viel mehr Schlaf bekommen haben als sie, dachte Carey. Vielleicht sogar weniger. Er hatte einen Fall am Laufen, dessen Opfer eine Richterin war. Die Leute, die über die Stadt herrschten, würden der Polizei ziemlichen Druck machen. Nicht unbedingt, weil sie so sehr um sie persönlich besorgt waren, sondern wegen der Medien und der Wählerschaft.
Er schien nicht überrascht zu sein, dass sie die Haustür öffnete, bevor er auf die Klingel gedrückt hatte.
»Richterin …«
»Detective. Ich nehme mal an, Sie sind nicht wegen meines guten Omeletts gekommen.«
Er blinzelte sie an, überrascht, dass sie trotz allem zu einem Späßchen aufgelegt war. »Keinen Appetit«, sagte er. »Aber haben Sie vielleicht Kaffee?«
»Ja.«
»Den könnte ich brauchen. Wie steht's mit Ihnen?«
»Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause«, sagte Carey trocken, als Kovac an ihr vorbeimarschierte und sich auf die Suche nach der Küche machte.
»Wo ist Ihr Mann?«, fragte er, während er die Schränke aufriss. Hinter der zweiten Tür entdeckte er die Becher. Der Kaffee stand schon bereit. Die Kanne war halb leer. Auf dem Abtropfgestell in der Spüle standen zwei umgedrehte Becher. David und Anka. Die Tageszeitung lag ausgebreitet auf dem Frühstückstisch.
»Nicht da.«
Kovac warf ihr einen Blick zu. Carey hatte ein Gefühl, als könne er durch ihre Kleidung hindurchsehen, durch ihre äußere Hülle, direkt bis zu der Stelle, wo sie ihre Geheimnisse bewahrte. Es war kein besonders angenehmes Gefühl.
»Sie mögen David nicht«, sagte sie und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
Kovac goss den Kaffee ein. »Nein«, sagte er unverblümt. »Ich mag ihn nicht. Und Sie?«
»Er ist mein Mann.«
Erneut dieser Blick aus den undurchdringlichen, forschenden Augen. Tiger hatten vermutlich denselben Ausdruck in den Augen, wenn sie ihre Beute beobachteten. Er ließ sich am Küchentisch nieder und schob einen der dampfenden Becher zu ihr hin.
»Das war keine Antwort.«
»Es gibt keinerlei Veranlassung für mich, mit Ihnen über meine Ehe zu sprechen.«
»Sie wollen keine Veranlassung dazu haben.«
Carey verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Wie Sie netterweise gestern Nacht schon festgestellt haben: An Leuten, die Groll gegen mich hegen, besteht kein Mangel. David gönnt mir halt meinen Erfolg nicht. Und er hat ein Alibi.«
Kovac erwiderte nichts, aber Carey wusste, was er dachte. Der treulose Ehemann verschafft sich ein Alibi und bezahlt jemanden, damit der die Drecksarbeit für ihn erledigt. Wenn da nicht die eine Kleinigkeit gewesen wäre, hätte sie diese Mög
lichkeit kategorisch von sich gewiesen.
Die Kleinigkeit von fünfundzwanzigtausend Dollar.
»Sie haben bessere Verdächtige«, sagte sie.
»Ich habe andere Verdächtige.«
Sie bemerkte sehr wohl die leichte Variation in seiner Wortwahl, hatte aber keine Lust, nach dem Köder zu schnappen.
Der Küchentisch stand in einem Erker, von dem aus man in den Garten hinaussah. Der Rasen war bedeckt mit Laub, und Lucys Schaukel stand da wie ein Denkmal der Kindheit. Ein ganz normaler Samstagmorgen: zusammensitzen, plaudern, Kaffee trinken.
»Er betrügt Sie«, sagte Kovac.
Carey wandte den Blick nicht vom Garten.
»Ich begreife das nicht. Sie sind eine starke, unabhängige Frau. Warum lassen Sie sich das gefallen?«
Sie sah ihn immer noch nicht an. »Sie haben keine direkten Beweise dafür, dass David mich betrügt … oder?«
»Sie sollten nicht versuchen, mich für dumm zu verkaufen, Richterin. Ich kann zwei und zwei zusammenzählen, genau wie Sie.«
Carey schwieg sehr lange. Schließlich sagte sie mit leiser Stimme. »Vielleicht bin ich nicht so stark, wie Sie denken.«
Nun war Kovac an der Reihe zu schweigen. Sie spürte, dass er sie ansah, fragte sich, was er wohl dachte. Dass sie die Augen vor dem verschloss, was um sie herum vor sich ging? Dass sie sich zur Idiotin machte, wenn sie bei einem Mann blieb, der ihr so wenig Respekt entgegenbrachte? Sie hoffte, dass er ihr
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