In alter Freundschaft - Kriminalroman
Börsenkurs.«
Am liebsten wäre ich sofort ins Bett gegangen und hätte die Bettdecke über den Kopf gezogen, aber der einzige Fall, an dem ich noch zu arbeiten bereit war, hielt mich davon ab. Bis zu meiner Verabredung mit Gerd Bohnenfeld blieb mir eine Stunde, und in dieser kurzen Zeit die Kleidung ab- und wieder anzulegen, schien mir nicht die Anstrengung wert. Also fuhr ich zum Laden, in der Hoffnung, die Beine für eine Weile hochlegen und ein paar Kataloge für Büroeinrichtungen angucken zu können.
Ein Blick in den Autospiegel verriet mir, dass ich selten so schlecht ausgesehen hatte, und auch Willi beäugte mich misstrauisch, als ich die Chefetage betrat.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte er und mit gutem Willen konnte man einen Hauch von Mitgefühl entdecken.
»Die Arbeit«, krächzte ich. »Die Arbeit macht mich fertig.«
»Na, dann zieh dich mal warm an! Da drin wartet Besuch auf dich.«
»Oh, nein«, sagte ich und drehte um.
»He, du kannst mich nicht einfach hier sitzen lassen. Ich mache …«
»Schon gut«, sagte ich und ließ die Türklinke los. »Schon gut. Ich spreche mit meinem Besuch, okay?«
Ich öffnete vorsichtig die Tür zu meinem Büro und sah einen breiten Rücken, der in ein graues Sakko gezwängt war, das unter den Armen zu platzen drohte. Der Freischwinger unter dem fetten Hintern ächzte in den letzten Zügen. Der Mann wandte sich zu mir um, das heißt, er verdrehte den Kopf und mit einiger Verzögerung folgte das Tripelkinn nach.
»Herr Molbk«, strahlte ich, »was führt Sie zu mir?«
Er hievte sich aus dem Freischwinger und machte einige tapsende Schritte auf mich zu. Fassungslos schüttelte ich seine ausgestreckte Hand.
»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich glaube, ich war neulich zu grob zu Ihnen.«
Mit letzter Kraft rettete ich mich auf meinen Sessel.
»Keine Ursache. Ist schon vergessen.«
Er befrachtete wieder den Freischwinger und hoppelte samt Stuhl zwanzig Zentimeter näher. »Wenn das so ist, könnten Sie doch vielleicht noch einmal nach Holland fahren und sehen, was sich machen lässt. Ich meine, Sie kennen die Orte, an denen sich Tanja aufhält. Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein.«
»Ausgeschlossen«, protestierte ich. »Ich habe bereits einen neuen Auftrag angenommen, der mich voll in Anspruch nimmt. Tut mir wirklich leid.«
Seine grauen Augen wurden ein bisschen feucht. »Wissen Sie, es geht ja nicht nur um mich. Meine Frau liegt seit drei Tagen mit Kopfschmerzen im Bett. Ich bitte Sie um ihretwillen.«
Wäre ich nicht unter allen Beteiligten derjenige gewesen, der mir am meisten leidtat, hätte ich mich vermutlich weichklopfen lassen. So aber zeigte ich ihm auf der Hollandkarte Zandvoort und komplimentierte ihn mit ein paar guten Tipps nach draußen. Anschließend ging ich zum Bücherschrank, goss ein Glas Schnaps ein und kippte es in einem Zug. Womit hatte ich das alles verdient?
Ein passabler Spaziergänger braucht fünf Minuten, um von meinem Laden zum Café Cuschan zu kommen. Ich brauchte zehn Minuten, weil ich auf der Windthorststraße mehrfach stehen blieb und so tat, als würde ich die Schaufensterauslagen betrachten. In Wahrheit schnappte ich nach Luft und wartete darauf, dass die Schmerzen in den Beinen nachließen.
Es war ein herrlicher Tag mit Sonnenschein und Mädchen, die keine BHs unter ihren knappen T-Shirts trugen. Ich betrachtete sie durch einen dichten Schleier aus Müdigkeit und Frustration und fand keine hübscher als Prinzessin Anne. Denn insgeheim beneidete ich sie um ihre Fahrräder, auf denen sie an mir vorbeiflitzten.
Das Café Cuschan liegt an Münsters Vorzeigemeile, dem Prinzipalmarkt. Links und rechts des Kopfsteinpflasters türmen sich auf alt getrimmte Fassaden zum Himmel. Hier bekommt man in gediegenen Geschäften für richtig viel Geld das Gefühl, zu denen zu gehören, die es sich leisten können. Die Elite der münsterschen Kaufmannschaft hat hier ihren Sitz und ihre Kassen. Und damit das so bleibt, hat sie über den Stadtrat dafür gesorgt, dass ringsum genügend Parkhäuser gebaut und Verbrauchermärkte erst gar nicht zugelassen werden.
Auch das Café Cuschan gehörte zur Tradition der Stadt und einer jener alteingesessenen Familien. Bis ein Konzern es aufkaufte und daraus eine Parfümerie machen wollte. Der heftige Protest der münsterschen Bürger bewegte die Manager dazu, die Verkaufsfläche zu halbieren und das Café als Nostalgiepflege weiterzubetreiben. Ein
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