In angenehmer Gesellschaft
Er sah sie unverwandt an. »Morgen — ich brauchte ihm nur zu telegrafieren...«
Eine Axt, dachte ich. Habe ich keine Axt im Haus?
Jessica rief: »Oh, Vater! Es hört sich himmlisch an!«
»Soll ich sofort?«
»Was?« fragte sie unsicher.
»Telegrafieren. Ihm mitteilen, daß ich das Boot haben muß, weil ich das bezauberndste Mädchen meines Lebens entdeckt habe und ihr die Welt zeigen will.«
»Oh, Vater!« seufzte sie.
»Wir würden die Adria hinaufsegeln, nach Venedig, der Stadt meiner Träume, und ich würde dich mit einer guten Freundin bekannt machen, Margherita Falieri, einer Venetianerin, die aussieht, als ob sie eben aus einem Bild von Longhi getreten sei. Und niemand kennt Venedig richtig, der es nicht durch ihre Augen gesehen hat. Dann würden wir nach Stra fahren...«
Und weiter und weiter — genug, um jede Frau zu überwältigen. Ich kannte alles, ich hätte es buchstäblich Wort für Wort wiederholen können; ja—als ich es jetzt wieder hörte, wurde ich beinah selbst von neuem überwältigt.
»Oh!« rief Jessica. »Das muß ich Roger erzählen!«
»Roger?« fragte Pogo verblüfft.
»Es hört sich alles so herrlich an — vielleicht sagt er ja.«
»Ja wozu?«
»Dahin zu fahren. Anstatt nach Hawaii.« Meine Tochter, meine unschuldige Tochter!
Pogo starrte sie an. Dann sagte er kalt: »Ich habe nicht Vorschlägen wollen, Reisebegleiter auf eurer Hochzeitsreise zu sein.«
»Aber...«, sagte sie. Sie begriff nicht.
Er versuchte es noch einmal. »Du hast lange genug aus zweiter Hand gelebt, Jessica. Und ich habe so sehr viel gutzumachen. Zum Teufel mit deinen Sammelbüchern! Ich will dir nicht erzählen, wie das Tal von Kaschmir aussieht oder wie die Berge sich um die schwarzen Wasser der norwegischen Fjorde drängen! Ich will es dir zeigen!«
Sie begriff immer noch nicht. »Aber was ist mit Roger?«
»Schreib ihm eine Postkarte.«
»Aber wir heiraten doch am Sonnabend!«
»Heiraten kannst du immer noch«, sagte Pogo.
»Vater!« rief sie, trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf den Arm, während sie ihm in die Augen blickte. »Oh... du! Du bist wirklich schlecht! Ich weiß: du hast mich auf die Probe stellen wollen, nicht wahr?«
Er lächelte und streichelte ihre Hand. »Ja«, sagte er. »Nur auf die Probe stellen.«
»Du hast es nicht ernst gemeint?«
»Nein«, sagte er. »Natürlich nicht.«
Sie schalt ihn zärtlich: »Das war grausam von dir!«
»Ich weiß. Es tut mir leid. Ich habe mich hinreißen lassen.«
Sie ging zum Fenster und starrte traurig hinaus. »Niemals werden wir das erleben, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Und ich habe so oft davon geträumt, das alles mit dir zu tun«, sagte sie. »Vielleicht... vielleicht werden Roger und ich eines Tages...«
»Ja«, sagte Pogo heiter. »Du und Roger — ihr werdet es erleben.«
Lange schwiegen sie, und ich konnte mein Herz schlagen hören. Er hatte mit größter Mühe versucht, sie für sich zu gewinnen, und es war ihm mißlungen. Er wußte, daß es mißlungen war. Instinktiv, ohne zu wissen, wie oder weshalb, hatte Jessica den richtigen Weg eingeschlagen und sich gerettet.
Pogo wechselte das Thema. Er hatte verloren und gab es damit zu. »Höre nur diese Nebelhörner!« sagte er.
»Ja.«
»Du wohnst in einer sehr musikalischen Stadt.«
»Ich kenne sie alle«, sagte sie. »Die Hörner, die Glocken, die Sirenen...«
Wieder schwiegen sie. Ich hatte genug gehört. Jetzt würden sie den Geräuschen des Nachtnebels lauschen, dann gute Nacht sagen und in ihre Zimmer gehen. Es würde kein gefährliches Gespräch, keine Aufregung mehr geben.
Ich schlich hinweg. Der Mittwoch ist vorüber, dachte ich, nur Donnerstag und Freitag sind noch zu überstehen. Dann heiratet Jessica Roger, und es ist aus mit Pogo. Zwei Tage. Nur noch zwei Tage.
9
Um sieben Uhr standen sie am nächsten Morgen auf, weil sie so früh wie möglich zur Ranch hinausfahren wollten. Jessica sah melancholisch aus, ziemlich blaß, leidend. Diese Tage waren zuviel für sie gewesen, vermutete ich, und sie sah das Ende ihres Zusammenseins mit dem lange vermißten Vater voraus. Oder sie litt an der Nervosität vieler Bräute kurz vor der Hochzeit. Ich nahm es nicht ernst. Das einzig Wichtige war, sie pünktlich in die Kirche zu bringen.
Pogo war in glänzender Laune, sah ich. So weit wie möglich ging ich ihm aus dem Wege, um ihn meine Verachtung wegen seines scheußlichen Benehmens gestern abend merken zu lassen, beobachtete ihn jedoch verstohlen.
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