In den Armen der Nacht
jedoch um Emotionen - ihre eigenen und die anderer -, steckte sie erst mal den Kopf in den Sand und spielte Vogel Strauß. Aber sie war lernfähig. Bei seiner impulsiven Familie blieb ihr gar nichts anderes übrig.
»Tasya, interessiert es dich denn gar nicht, weshalb sie es euphorisch gefeiert haben, dass du unversehrt entkommen konntest?«, fragte er.
»Nein.«
»Tasya«, meinte er vorwurfsvoll.
Sie gab seufzend nach. »Okay, rück schon raus damit.«
»Sie erkannten dich als die Dimitru-Prinzessin.«
»Das kann nicht sein. Das konnten sie gar nicht«, widersprach Tasya hastig. »Sie haben nichts dergleichen gesagt. Wer hat mich erkannt?«
»Mrs. Gulyás besuchte mich, als ich in Untersuchungshaft saß. Sie zeigte mir eine Miniatur von einem Gemälde aus dem Mittelalter. Eine Dimitru-Königin. Tasya, sie war dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Tiefdunkle Haare und faszinierend blaue Augen. Deine Familie hat starke Gene.«
»Nein. Sie können mich gar nicht erkannt haben. Wieso hat denn dann keiner was gesagt?« Tasya schob sich die Haare aus der verschwitzten Stirn. Sie schwankte, ob sie sich darüber freuen oder ärgern sollte.
»Weil sie deinen Wunsch nach Anonymität respektieren.
Nachher … als die Varinskis an die Macht kamen, mussten sie deren Terrorregime zwangsläufig akzeptieren. Sie erzählten wahre Horrorstorys von der Nacht, in der deine Eltern starben.«
Tasyas Blick glitt über den Tisch.
Er las in ihren Augen, was sie soeben dachte. Letzte Nacht hatte sie mit einem geborenen Killer geschlafen. Heute feierte sie mit ihren Feinden. Durfte sie das überhaupt? Durfte sie diese Menschen akzeptieren? Prompt nagte das schlechte Gewissen an ihr.
Er legte begütigend seine Hand auf ihre. »Die Ruyshvanier sind gute Menschen. Sie litten unter Czajkowski. Sie sind vorsichtig geworden, aber es sind keine Mörder. Ihre Erinnerung reicht weit zurück, und sie sind sehr glücklich, dass du das Massaker überlebt hast. Sehr, sehr glücklich.« Er neigte sich zu ihr, hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Ich übrigens auch.«
Sie senkte die Lider mit den schönen dichten Wimpern, klappte sie wieder auf. Um ihre Mundwinkel spielte ein kleines Lächeln.
»Und deshalb gehören wir zusammen.« Konnte er ihren sinnlich halb geöffneten Lippen widerstehen? Er küsste sie abermals. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, hauchte sie.
Mit dem überheblichen Ton des abgeklärten älteren Bruders meinte Jasha: »Dann nehmt euch irgendwo ein Zimmer.«
»Pssst. Sie sind ganz süß, die beiden«, raunte Zorana ihm zu.
Rurik umschlang Tasya mit einer Hand und sagte: »Wie dem auch sei, Papa, als sie mich ins Flugzeug
setzten, fand ich, dass die vierundzwanzig Stunden den Kohl auch nicht mehr fett machten. Folglich hab ich nicht mehr angerufen, sondern wollte euch mit meiner Rückkehr überraschen.«
»Die Überraschung ist dir gelungen.« Konstantine nickte. »Ist schon in Ordnung, mein Junge. Und jetzt … jetzt sind wir eine Familie. Meine beiden Söhne haben Frauen gefunden, die ihrer würdig sind …«
Zorana unterbrach seinen Redefluss. »Und wenn deine Söhne hart an sich arbeiten, dann sind sie in vierzig Jahren vielleicht so weit, dass sie diese tollen Frauen verdient haben.«
Konstantine blickte über den Tisch hinweg zu seiner Frau und von ihr zu Tasya. »Das sagt sie, weil wir erst fünfunddreißig Jahre verheiratet sind.«
»Demnach bist du nah dran, Pop«, meinte Rurik aufgeräumt.
»An unserem vierzigsten Hochzeitstag machen wir eine Bestandsaufnahme.« Zorana lächelte, indes mit zitternden Lippen - nach der Diagnose des Arztes blieben Konstantine keine fünf Jahre mehr, und was dann? Rurik durfte sich gar nicht ausmalen, was Konstantine drohte, wenn er starb, ehe seine Seele von der Last der Sünden geläutert wäre.
»Setz dich, Mama«, sagte Firebird. »Ich räum die Geschirrspülmaschine ein.«
»Ja, aber vorher gibt’s noch Dessert!« Zorana nahm eine Platte mit Gebäck aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch. Daneben stellte sie eine Schale saure Sahne. » Vareniki mit Kirschen.«
Wenige Minuten zuvor war Rurik überzeugt gewesen,
dass er keinen Bissen mehr hinunterbekommen würde. Als er sein weltallerbestes Lieblingsdessert sah, sagte er: »Meine wundervolle Mutter, ich liebe dich!«
»Ich hatte auch nichts anderes erwartet.« Zorana schob Konstantine einen gefüllten Teller hin, dann setzte sie sich und ließ sich von ihrem Mann mit kleinen Häppchen
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