In den Armen der Nacht
als Freund der Familie kümmere ich mich darum. Allerdings wollte ich vorher noch mit Nixie sprechen, damit ich alles so organisieren kann, dass es für sie so leicht wie möglich ist.«
»Das muss noch etwas warten. Ich kann nicht erlauben, dass sie an der Gedenkfeier für die Familie teilnimmt, solange wir nicht sicher wissen, dass sie nicht mehr in Gefahr ist.«
»Natürlich, aber könnten Sie vielleicht …« Er klappte seine Aktentasche auf. »Das ist das Foto, das Grant auf seinem Schreibtisch stehen hatte. Ich dachte, dass sie es vielleicht gerne hätte.«
Eve blickte auf die vier lächelnden Gesichter der Familie, die zwanglos an einem Sandstrand stand. Der Vater hatte einen Arm um die Schultern des Sohnes geschlungen, die Hand auf die Hand von seiner Frau gelegt und zog mit der anderen Nixie sanft an seine Brust. Keelie hatte einen Arm um Coyles Taille gelegt, die Finger in die Gürtelschlaufe von Grants Jeans geschoben und hielt mit ihrer freien Hand die Hand der Tochter fest.
Sie sahen glücklich aus, fand Eve. Eine glückliche Familie an einem sorgenfreien Sommertag.
»Ich habe das Foto gemacht. An einem Wochenende in ihrem Haus am Strand. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich gesagt habe: ›He, lasst mich meine neue Kamera ausprobieren. Stellt euch mal zusammen auf.‹ Sie haben sich einfach so hingestellt und mich lächelnd angesehen.« Er räusperte sich leise. »Es war ein schönes Wochenende. Grant hat das Bild geliebt. Gott, ich vermisse ihn.« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Nixie, ich glaube, dass Nixie dieses Foto gerne hätte.«
»Ich sorge dafür, dass sie es bekommt.«
Nachdem er gegangen war, blieb sie noch kurz sitzen und sah sich die Momentaufnahme eines freien Sommertages einer glücklichen Familie an. Sie hatten nicht gewusst, dass dies der letzte Sommer für sie war.
Wie war es, wenn man eine derart enge Bindung zu seiner Familie hatte? Wenn man so glücklich miteinander war? Wenn man in dem Wissen aufwuchs, dass es Menschen gab, die einem die Arme um die Schultern legten, die einen bei den Händen nahmen, bei denen man rundum sicher war?
Sie hatte so etwas nie erlebt. Sie war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es Menschen gab, die einen zum Vergnügen leiden ließen. Die einen schlugen, vergewaltigten und brachen, nur weil man schwächer war.
Bis man endlich stärker wurde und der Augenblick des Wahnsinns kam, in dem man selbst ein Messer in den Fingern hielt. Und so oft damit zustach, bis die eigene Haut, das eigene Gesicht, die eigenen Hände vom fremden Blut nass waren.
»Eve.« Sie zuckte zusammen, ließ das Foto fallen und starrte Mira an. Die Psychologin nahm ihr gegenüber Platz und drehte das Bild zu sich herum. »Eine liebende Familie. Sehen Sie sich nur die Körpersprache an. Eine wunderbare, liebende Familie.«
»Die es nicht mehr gibt.«
»Da irren Sie sich. Sie werden immer eine Familie bleiben, denn Augenblicke wie dieser sind für die Ewigkeit gemacht. Es wird Nixie trösten, wenn sie dieses Foto sieht.«
»Der Partner ihres Vaters hat es mitgebracht, als er mit Jenny Dyson hier war. Sie und ihr Mann wollen die Vormundschaft aufheben lassen. Sie werden sie nicht nehmen.«
»Ah.« Seufzend lehnte Mira sich auf ihrem Stuhl zurück. »Das hatte ich befürchtet.«
»Sie haben es sich schon gedacht?«
»Ich hatte befürchtet, dass sie nicht willens oder in der Lage wären, Nixie bei sich aufzunehmen, weil sie sie zu sehr an ihren Verlust erinnert, ja«, erklärte die Psychologin.
»Aber was in aller Welt soll sie jetzt machen? Soll sie vielleicht ins Heim, nur weil irgendein Hurensohn beschlossen hat, ihre Familie zu massakrieren?«
Mira legte eine Hand auf Eves geballte Faust. »Vielleicht ist es das Beste für Nixie, wenn sie zu Pflegeeltern oder falls möglich zu Verwandten kommt. Schließlich würde nicht nur sie die Dysons an deren Verlust erinnern, sondern auch andersherum. Neben dem Schock, der Trauer und der Angst hat sie schließlich noch immer Schuldgefühle, weil sie als Einzige davongekommen ist.«
»Also bringen wir sie bei völlig Fremden unter und drehen dann am Glücksrad«, stellte Eve verbittert fest. »Dann werden wir ja sehen, ob sich die Menschen, bei denen sie gelandet ist, wirklich für sie interessieren, oder ob sie Pech hat und an jemanden gerät, der sie nur des Geldes wegen nimmt.«
»Sie ist nicht Sie, Eve.«
»Nein, bei Gott, das ist sie nicht. Sie ist mir nicht mal ähnlich. Aber vielleicht hat sie es noch
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