In Den Armen Des Schicksals
öfter zu ihm gegangen wären. Lady Mary wollte eigentlich nach Glasgow fahren, um ihr Baby dort auf die Welt zu bringen, und Andrews Mutter hatte eine Hausgeburt geplant.“
„Nein, ernsthaft. Wieso sollten die drei unbedingt zusammen aufwachsen?“
„Darüber habe ich eigentlich nie etwas gehört. Aber jetzt sind sie die Mitternachtsmänner, und alle leben sie hier. Eine seltsame und bezaubernde Geschichte, nicht wahr?“
Billie schloss wieder die Augen. In der Tat, es war eine seltsame Geschichte. Eine von den Geschichten, die ihr am besten gefielen. „Ich bin also in das richtige Dorf gekommen.“
„Entschuldigung?“
Sie lächelte schläfrig. „Manchmal habe ich einfach unbeschreibliches Glück.“
Drei Babys, in derselben Nacht zur selben Zeit geboren, hier in der Klinik. Das war der Stoff, aus dem Volksmärchen entstanden, eine Legende, die sich direkt vor ihren Augen entwickelte.
Billie saß auf der Steinbank unter der Rosenpergola, an der dornige Ranken ohne Blätter emporkletterten, und sah Flora Daniels beim Setzen der Tulpenzwiebeln zu. Es war schon fast dunkel, und Flora arbeitete jetzt seit dem frühen Nachmittag im Garten.
„Sind Sie sicher, dass Sie keine Hilfe wollen?“, fragte sie.
„Nehmen wir mal an, Sie fühlten sich tatsächlich schon kräftig genug. Würden Sie überhaupt wissen, was zu tun ist?“
„Ja, ob Sie’s mir glauben oder nicht. Ich habe einen ganz passablen grünen Daumen.“
Flora schob sich den Strohhut aus der Stirn, um BiIlie anzuschauen. Wenn Flora nach draußen ging, war jeder Zentimeter ihrer Haut bedeckt, aber für ihren Teint war es längst zu spät. Sie musste über achtzig sein – oder älter –, und in ihrem ganzen Gesicht gab es keine einzige freie Stelle mehr für eine weitere Falte.
„Mag sein“, sagte Flora. „Aber wenn Sie meine Zwiebeln setzen, dann sind es ja nicht mehr meine Zwiebeln, oder?“
Billie grinste. „Fein. Ich bin still und schaue nur zu.“
„Sie wissen gar nicht, wie das geht – still sein.“
„Falle ich Ihnen sehr auf die Nerven?“
„Nein, überhaupt nicht.“ Flora buddelte wieder weiter.
„Flora, warum haben Sie mir nie etwas von den Mitternachtsmännern gesagt?“
„Haben Sie mich danach gefragt?“
„Wie hätte ich Sie fragen können, wenn ich nichts davon wusste?“
„Was haben Sie denn gehört?“
Billie wiederholte die Geschichte, die Alasdair ihr erzählt hatte. Von der Beinahe-Katastrophe, die ihr zugestoßen war, hatte sie Flora schon berichtet, und davon, dass Iain sie vor dem Ertrinken gerettet und Alasdair sie nach Hause gefahren hatte. Flora hatte prompt ihre Gartenarbeit unterbrochen, war in die Küche gegangen, um einen speziellen Tee aus Kräutern aus dem eigenen Garten aufzubrühen, und hatte Billie gezwungen, die ganze Kanne zu trinken. Billie hatte sich fest vorgenommen, nachher in den Dorfpub zu gehen, um den Geschmack im Mund auszuspülen.
„So heißt es, richtig“, sagte Flora. „Sie haben also schon alles gehört.“
„Wissen Sie, warum die drei zusammen aufwachsen sollten?“
„Nein.“
„Ist es nicht ungewöhnlich, dass die Eltern dem zugestimmt haben? Ich meine, Iain ist ein Lord. Sind die anderen auch adlig? Oder wenigstens irgendwie berühmt?“
„Nein, im Gegenteil. Duncans Vater war der Wirt im Dorf, und Andrews Vater war ein Taugenichts. Aber vergessen Sie unsere schottische Geschichte nicht, Mädel. Früher hat man einen hochwohlgeborenen Sohn oft in ärmere Familien geschickt, damit er Dinge lernen sollte, die er zu Hause nicht lernen würde, und um neue Verbündete zu finden.“
„Interessant. Also hat sich diese Tradition aus der Vergangenheit gehalten. Aber gibt es denn nicht einmal eine Vermutung, warum das nötig war?“
Flora schwieg. Billie setzte sich zurück und wartete. Sie hatte von Anfang an geahnt, dass die alte Frau ihr alles würde erzählen können, was sie über Druidheachd wissen wollte. Doch Flora würde mit ihren Informationen nur Stückchen für Stückchen herausrücken, so wie es ihr passte.
„Da war eine schwarze Wolke“, sagte Flora endlich. „Sie hing über dem Dorf. Und bis die drei Jungs geboren wurden …“
„Bis die drei Jungs geboren wurden …?“, hakte Billie schließlich nach, doch offensichtlich war das alles, was Flora zu sagen hatte. Sie zuckte nur mit den Schultern.
„Und jetzt ist sie nicht mehr da?“, versuchte Billie es erneut. „Die schwarze Wolke hat sich aufgelöst?“
„Nein, das glaube ich
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