In Den Armen Des Schicksals
gekommen, um diese hauchdünne Bindung wiederherzustellen. Oder vielleicht war er auch gekommen, um dem Echo der Stimmen zu entfliehen, das durch die Hallen von Fearnshader hallte. Was auch immer der Grund sein mochte, ihm war kalt geworden, während er hier stand und der Abend hereinbrach. Dennoch ging er nicht.
Er lief zum anderen Ende des Rundgangs. Von hier aus konnte man das schmale Waldstück sehen, das den Rand von Cumhann Moor markierte. Als Junge war er mit seinem Vater durch das Moor gewandert, wenn auch eigentlich immer ungern. Das erste Mal, als sie zu dem Cairn gekommen waren, hatte Iains Vater ihm die Hand auf die Schulter gelegt und ihn gezwungen, davor stehen zu bleiben.
„Behalte diesen Ort immer in Erinnerung“, hatte Malcolm Ross gesagt. „Denn hier wurde ein schreckliches Verbrechen an unserer Familie begangen.“
Was genau damals im Moor geschehen war, hatte Iain erst als erwachsener Mann erfahren. Doch von dem Moment an, da sein Vater ihn vor dem Steinhügel festgehalten hatte, da hatte Iain angefangen, Cumhann Moor zu hassen. Zu Lebzeiten seines Vaters hatten hier Jagdpartien stattgefunden, und Iain hatte immer einen Weg gefunden, sich davon fernzuhalten. Durch die Hege des Wildhüters und seiner Gehilfen hatte das Moor einen schier unerschöpflichen Vorrat an Waldhühnern und Fasanen geliefert, doch für Iain war es nichts als ein Ort, an dem der Wind, ganz gleich, zu welcher Jahreszeit, markerschütternd um einen Steinhügel heulte.
Jetzt lag das Moor als düsterer Landstrich vor seinen Augen, der sich bis hinauf in die Berge zog und über dem die Nebelschwaden waberten. Er fragte sich, ob Billie die Geschichte von Ruaridhs und Christinas Tod als real ansah, oder ob es für sie nur eine weitere Highland-Legende war, nur ein weiteres Volksmärchen, das sie in ihre Dissertation einarbeitete. Konnte sie überhaupt verstehen, wie die Überlieferung vom Tod der beiden sich durch die Jahrhunderte gezogen und jeden Ross heimgesucht hatte, der im Schloss und später dann auf Fearnshader lebte? Konnte sie verstehen, wie es ihn quälte?
Kaminrauch stieg in die Abenddämmerung auf, draußen auf dem See verabschiedete das Nebelhorn eines einsamen Bootes das letzte Licht des Tages. Iain wurde klar, dass er nach Hause zurückgehen musste, ob er bereit dazu war oder nicht. Er trat von der Brüstung zurück. Doch gerade, als er sich zur Treppe wenden wollte, fiel ihm in der Ferne etwas auf, das ihn innehalten ließ. Die Nebelschwaden schienen nicht dichter als sonst auch, aber sie waren dunkler, und sie bauschten sich zu seltsamen Formen.
Er kniff leicht die Augen zusammen und schaute genauer hin.
Das war gar kein Nebel.
Bis er unten angekommen war und auf seinen Wagen zurannte, konnte er den Rauch in der Luft riechen. Er besaß ein Schloss aus dem Mittelalter, ein riesiges gotisches Anwesen und ein modernes Hightech-Autotelefon, weil er oft unterwegs war. Und er betete, dass er dieses eine Mal auf jeden Fall die Verbindung bekam, die er brauchte, trotz Bergen und schlechten Wetters.
Seinen Hilferuf konnte er ohne Schwierigkeiten durchgeben, dann raste er die Straße entlang, die am Moor vorbeiführte. Eigentlich war es nicht viel mehr als ein Feldweg, nur schlecht unterhalten seit den Tagen der Jagdpartien und selten befahren. Heute jedoch war der Weg benutzt worden. Er sah den Beweis dafür, als er um die Biegung fuhr. Maras Auto stand am Feldrand bei einer Hecke. Vom Schloss aus hatte er es nicht sehen können.
Billie war hier.
Der Rauch wurde beißender, kratzte in seiner Kehle, als er aus dem Wagen sprang. Iain holte nur vorsichtig Luft und rief nach Billie, doch er bekam keine Antwort.
Er fragte sich nicht, warum sie hergekommen war. Er wusste es. Von dem Cairn hatte er ihr gegenüber nie etwas erwähnt, sie war von allein ins Moor gegangen, vielleicht, um zu erleben, was von der eigenen Familientragödie zu erfahren war. Er rief nochmals nach ihr, und wieder folgte keine Antwort.
Er suchte nach einer Passage zwischen den Bäumen, davon ausgehend, dass Billie das Gleiche getan haben musste, um vom Auto aus den kürzesten Weg ins Moor zu finden. Er fand sie und eilte in den Wald hinein, dabei immer Billies Namen rufend. Er gelangte ans Moor und machte sich daran, es zu überqueren. Der Boden war uneben, Grashügel standen hervor, da waren Vertiefungen und Gräben, wo einst Torf gestochen worden war … Hügel und Täler, die volle Konzentration von ihm forderten, während er
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