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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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erreichen konnten; die wehmütige Hoffnung, dass eine Suchmannschaft sie rechtzeitig finden würde; das Bild von Männern, die hilflos in ihrem Zelt lagen und hofften, durch das Toben des Schneesturms hindurch das Bellen der Schlittenhunde zu hören, das Rettung bedeuten würde; ihr starker Wunsch zu überleben, verbunden mit der Erkenntnis, dass es ihnen nicht gelingen würde. Wären Scott und seine Mannschaft spurlos verschwunden und hätte es keine Tagebücher und Nachrichten gegeben, wäre die Erinnerung an ihn wohl verblasst.
    Ein anderer wichtiger Faktor der Heroisierung Scotts war Amundsen. Er war damals in den Augen vieler der Schurke und Gegenspieler des britischen Helden. Als Nicht-Engländer, Eindringling und Rivale war er der Mann, der sich aus Norwegen heraus geschlichen hatte, und zwar auf der Fram , »dem Wikingerschiff des 20. Jahrhunderts«, wie ein anderer norwegischer Forschungsreisender, Borchgrevink, das Schiff genannt hatte, und der seine Absicht verheimlicht hatte, nach Süden und nicht nach Norden zu fahren, bis Scott bereits auf seinem Weg zur Antarktis war. Er war der Mann, der das Ziel, den Südpol zu erreichen, in ein Wettrennen verwandelte; er war der »Profi«, der dank überlegener Technik, mit Skiern und Hunden, mit mehr Glück und besserer Vorbereitung den »begabten Amateur« Scott knapp vor dem Ziel schlug und ihm den Preis stahl. Tatsächlich bezeichnete Amundsen selbst seine Reise als »sportliches Kunststück«.
    Amundsen galt als einer, der sich nicht an die Spielregeln hält, und seine Leistung schien weniger ehrenhaft und männlich als die Scotts, weil er sich beim Schlitten ziehen nicht auf seine eigenen Kräfte verlassen hatte. Scott hatte zehn Jahre zuvor geschrieben: »Keine Reise, die je mit Hunden unternommen wurde, kann dem Gipfel jener schönen Vorstellung nahe kommen, die erreicht wird, wenn eine Gruppe von Männern loszieht, um sich aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe Entbehrungen, Gefahren und Schwierigkeiten zu stellen, und die Tage und Wochen schwerer physischer Plackerei damit beendet, dass einige Probleme des großen Unbekannten gelöst werden.« 3
    Auch der geheimnisvolle Nimbus Antarktikas, der »letzten Grenze«, spielte eine Rolle. Als die Erforschung der südlichen Regionen um die Jahrhundertwende an Tempo gewonnen hatte, war die Phantasie der Massen gefesselt durch Beschreibungen eines Ortes von unvergleichlicher Schönheit, Unergründlichkeit und Gefahr. Die Berichte sowohl über Scotts Expeditionen als auch über die anderer Forscher klangen schwärmerisch und sensationell. Tryggve Gran schilderte es so: »Es kam uns vor, als lebten wir in einem gigantischen, wunderbaren Märchen; als wären wir über einen Ozean gefahren, wo in der nächtlichen Luft Tausende von weißen Lilien kleine Wellen bildeten. Und als die Sonne aufging, färbten sich die weißen Lilien violett, und das ganze Märchenland war in ein rosiges Licht getaucht.« 4
    Und dann gab es auch noch die Tiere. Scotts Leute hinterließen wunderschöne Erzählungen über solche Kuriositäten wie die kleinen Adéliepinguine. So schrieb Apsley Cherry-Garrard:
    »Das Leben eines Adéliepinguins ist eines der unchristlichsten und erfolgreichsten auf dieser Welt... Etwa 50 oder 60 aufgeregte Vögel versammeln sich auf der Eisscholle, schielen über den Rand, unterhalten sich darüber, wie schön es wäre und was für ein gutes Abendessen sie haben würden. Aber das ist alles Theater: In Wirklichkeit haben sie Angst, weil sie den schrecklichen Verdacht haben, dass eine Weddellrobbe nur darauf wartet, den ersten von ihnen, der ins Wasser taucht, zu verspeisen... Tatsächlich versuchen sie dann einen Gefährten mit schwächerem Naturell zu überreden, sich ins Wasser zu werfen: Wenn ihnen das nicht gelingt, verhängen sie in aller Eile ein Todesurteil und stoßen ihn hinein. Und dann – ein Plumps, und alle übrigen stürzen sich kopfüber ins Wasser.« 5
    Ein solcher Anthropomorphismus war typisch für ein sentimentales Zeitalter, dass das Dschungelbuch hervorbrachte. Indem sie vorgaben, die geordnete Welt der Tiere spiegele die der Menschen wider, schlossen die Edwardianer die Möglichkeit aus, dass niedere, »animalische Instinkte« zu menschlichem Handeln anleiten könnten. Selbst wenn Darwins Theorie, wonach der Mensch vom Tier abstammte, zunehmend akzeptiert wurde, konnten Freuds Theorien über die menschliche Seele und ihre Abgründe keinesfalls richtig sein. Scott und seine Gefährten

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