In den eisigen Tod
schienen die edlere Seite des Menschen zu verkörpern, indem sie Selbstaufopferung für andere, Treue bis in den Tod und die Dominanz menschlicher Wissbegierde bewiesen. Halb erfroren und halb verhungert hatten sie auf ihrer Rückkehr vom Pol weiter »geologisiert« und ihre schweren Gesteinsproben bis zum Ende mit sich geschleppt.
Nach dem Ersten Weltkrieg erreichte Scotts Heroismus sogar noch größere Bekanntheit. Sein Opfer in der reinen, sauberen Wildnis der Antarktis blieb auf tröstliche Weise unbefleckt inmitten der Zweifel darüber, was mit dem Morast, dem Leid und dem Elend in Flandern erreicht worden war.
Der geheimnisvolle Nimbus und die andauernde Faszination von Scotts letzter Antarktisexpedition lässt sich mit all diesen Dingen erklären. Natürlich fühlt sich unsere heutige Zeit mit Helden weniger wohl und ist zynisch darauf erpicht, ihre hohen Ansprüche und ihre Skepsis dadurch zu beweisen, dass sie alles umwühlt, um die tönernen Füße der Helden zu finden. In den letzten Jahren ist viel über die Tragweite von Scotts Leistung diskutiert worden, und man hat ihn auch zu seinen Ungunsten mit Amundsen verglichen. Es ist natürlich möglich, die Geschichte auf nüchterne Debatten über die Logistik zu beschränken, auf eine Diskussion über die Transportmöglichkeiten, die Vorteile von Hunden gegenüber Ponys, die Qualität der Rationen, die Effektivität der Planung, die Routen, die gewählt, und die Risiken, die eingegangen wurden. Doch bei aller Berechtigung dieser Untersuchungen besteht die Gefahr, dass man dabei die grundlegende Menschlichkeit dessen aus den Augen verliert, was da draußen geschah, in dieser einsamen Welt der Stille.
Es ist wichtig, die beschönigenden Erzählungen wegzulassen, die sich um Helden ranken, und die wahren, unter dieser Schicht liegenden Charaktere freizulegen. Doch wenn man glaubt, Scott und seine Gefährten hätten etwas Heroisches geleistet, heißt das nicht, dass sie vollkommen waren. Helden brauchen nicht vollkommen zu sein. Scott hat zweifellos Fehler gemacht. Er konnte schwierig, ungeduldig und aufbrausend sein. Er litt unter Vertrauenskrisen und zeitweilig unter Zerstreutheit und Depressionen, aber das tut seiner Größe keinen Abbruch. Die Geschichte der Südpolexpedition von 1910 wirkt immer noch faszinierend und inspirierend, aber sie ist nicht ohne Licht und Schatten. Es ist eine Geschichte der Beharrlichkeit und des unauslöschlichen Geistes angesichts einer grauenhaften Übermacht, und es ist auch eine Geschichte über Sturheit und Sentimentalität und über Männer, die tiefgründiger und komplexer waren, als wir es ihnen manchmal zugestehen. Sie waren Helden, aber eben auch Menschen.
Kapitel 1
Anläufe zum großen Wettrennen
Die Geschichte der Antarktisforschung ist eine merkwürdige Folge von Phasen der Aktivität und des Desinteresses. Der Mensch drang nur langsam in die Geheimnisse Antarktikas ein. Die Wikinger durchkreuzten bereits die vereisten Gewässer der Arktis, aber als Wellington bei Waterloo kämpfte, gab es im Süden der Erdkugel immer noch einen unentdeckten Kontinent. Erst 1820 warf zum ersten Mal ein Mensch einen Blick auf das antarktische Festland. Als Scott 1901 mit der Discovery zu seiner ersten Expedition aufbrach, war über die Antarktis weniger bekannt als über den Mond vor der Landung im Jahre 1969.
Antarktika ist noch immer der am wenigsten bekannte aller Kontinente, der unwirtlichste und der gefährlichste – er ist kälter, höher und isolierter als irgendein anderes Gebiet auf der Erde. Eine ungefähr 13 Millionen Quadratkilometer große Landmasse, die aber mit Ausnahme von zwei Prozent von einem riesigen Eisschild bedeckt ist, der im Durchschnitt 1800 Meter misst. Vom Weltall aus gesehen, leuchtet die Eiskappe wie eine große weiße Lampe. Über 90 Prozent des Schnees und des Eises der Welt befinden sich in oder um Antarktika. Am Pol selbst erhebt sich die Sonne während des sechs Monate dauernden antarktischen Winters nicht über den Horizont. Auf dem Polarplateau sind Temperaturen von bis zu minus 90 Grad gemessen worden. Rund um den Pol liegt die Jahresdurchschnittstemperatur um minus 55 Grad. Winde von Orkanstärke peitschen über seine Fläche und verursachen dichte, heftige Schneetreiben. Doch auf jeden, der einmal in Antarktika auch nur hineingeschnuppert hat, übt der Kontinent eine starke Anziehungskraft aus. In allen Tagebüchern der Entdecker und Forscher wird er als eine Welt von zauberhafter
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