In den eisigen Tod
vorgeworfen hat, autokratisch und nicht genügend innovativ gewesen zu sein. Wilson glaubte auch, dass er und Scott sich im Laufe des Winters besser verstanden hätten als irgend jemand sonst an Bord.
Doch in dieser frühen Phase hätte Wilson eher Shackleton als Scott als seinen Freund bezeichnet. Während der Monate der Dunkelheit hatte Wilson sich zunehmend zu »Shackles« hingezogen gefühlt. Der Charme und der spitzbübische Humor des Iren übten auf den ruhigeren Mann eine unwiderstehliche Wirkung aus. Die beiden kletterten zusammen auf den Crater Hill, um das Thermometer abzulesen, und hatten miteinander über den Seiten der South Polar Times lange Stunden in Klausur zugebracht. Sie hatten gemeinsam die Rückkehr der Sonne beobachtet und sich an dem »überaus prächtigen goldenen Himmel« erfreut. 4 Dennoch war Wilson über den Plan, seinen Freund auf die Polarreise mitzunehmen, besorgt, denn er bezweifelte, dass seine körperlichen Kräfte ausreichten. »Shackleton hat nicht die Beine, die diese Aufgabe erfordert«, schrieb er, aber seine Loyalität hinderte ihn daran, sich Scott anzuvertrauen. 5 Er wusste, dass Shackletons einziger Ehrgeiz darin bestand, die Reise nach Süden zu unternehmen. Vielleicht war er sich zur gleichen Zeit bewusst, dass auch er selbst nicht gerade in Topform gewesen war, als Scott zugestimmt hatte, ihn auf die Expedition mitzunehmen, und dass die Entscheidung im Zweifelsfall zugunsten von Shackleton fallen müsse.
Ehe die Reise nach Süden beginnen konnte, mussten viele Vorbereitungen getroffen werden, einschließlich einiger Probefahrten mit den Schlitten und den Hunden. Scott unternahm mehrere Reisen, die eher ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten warfen, mit denen sie konfrontiert sein würden, als dass sie irgendwelche Problemlösungen boten. Aber es gab noch eine direktere Herausforderung. Als Scott Anfang Oktober von einer Expedition zurückkam, stellte er fest, dass drei Männer, die zusammen mit Armitage mit dem Schlitten einen Aufklärungsausflug nach Westen unternommen hatten, infolge Skorbuts zusammengebrochen waren. Die Symptome waren erschreckend und unverkennbar: verfärbte, geschwollene Glieder und schwammiges Zahnfleisch. Scott bestand darauf, dass die gesamte Mannschaft untersucht wurde, und fast jeder wies Anzeichen der Krankheit auf. Er notierte anerkennend, dass Armitage den Arzt konsultiert und aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Navigator in der Arktis zur Verbesserung der Lage Maßnahmen ergriffen hatte, frisches Fleisch servieren ließ, die Ration eingemachter Früchte erhöhte und die Kontrolle über den Koch übernahm. »Ich weiß nicht, ob er drohte, den Koch am Mast aufzuknüpfen, oder ob er überzeugendere Schritte unternahm, jedenfalls hat sich die Kost deutlich verbessert.«
Armitage sollte später behaupten, ein großer Teil der Schuld sei auf Scotts Konto gegangen, denn dieser habe zu sehr auf Dosennahrung vertraut, hauptsächlich wegen einer »gefühlsmäßigen Abneigung gegen das Abschlachten von Seehunden in dem Ausmaß, wie es für unseren Winterproviant erforderlich gewesen wäre«. 6 Was immer am Anfang die Ursache gewesen sein mag, Scott war nunmehr überzeugt, dass die Lösung in Frischfleisch bestand, und eine Gruppe, »mit Messern und anderen Mordinstrumenten umgürtet«, zog los, um Seehunde zu schlachten. 7
Die Umstellung der Kost wirkte sich positiv aus, und die Reise nach Süden konnte wie geplant beginnen. Am 30. Oktober führte Michael Barne einen aus zwölf Männern bestehenden Hilfstrupp nach Süden; sie zogen ihre Schlitten selbst. Schlechtes Wetter verzögerte die Abreise von Scott und seinen Gefährten, aber sie trösteten sich mit einer von Dr. Koettlitz erfundenen Speise aus Senfkraut und Kresse, Pflanzen, die eigens zur Skorbutbekämpfung gezüchtet worden waren. Am 2. November, einem kalten und windigen Tag, machten sie sich, aufgemuntert durch ein Glas Champagner, endlich auf den Weg. Es war ein bewegender Augenblick, als sie ihre Heimstatt auf der Discovery verließen. Scott beschrieb, wie »alle Seelen sich auf dem Eis versammelt hatten und uns Lebewohl sagten«.
Die kleine Gruppe, die aus drei Mann, 19 Hunden und fünf Schlitten bestand, brach zur kühnsten Reise auf, die je in Antarktika unternommen wurde. Denn trotz all ihrer Schwächen würde sie Scott und Shackleton in den Rang erfahrener Polarforscher erheben. Sie sollte auch die Gefahren und Ungewissheiten zeigen, die das Reisen in diesem Gelände mit
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