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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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aufgekochten Portion Pemmikan, einer »roten Ration«, bestehend aus Erbsenschrotmehl und Speckpulver, Zwieback, einem Suppenwürfel und Käsepulver, und zum Abschluss gab es eine tröstliche Tasse Kakao. Doch auf ihrer Weiterreise stillte diese Nahrung nicht mehr ihren Appetit, der gewaltig zugenommen hatte. Scott hatte die Menge an Pemmikan, den sie benötigt hätten, stark unterschätzt und nur ungefähr die Hälfte von der Menge mitgenommen, die den damals gängigen Theorien zufolge richtig gewesen wäre. Alle drei wurden, wenn sie aufwachten und einschliefen, von Gedanken und Träumen an das Essen beherrscht: gebratene Ente, Rinderfilet, saftiges Bratenfett und kannenweise frische Milch.
    Sie lernten auch die anderen Unannehmlichkeiten der Schlittenreisen kennen. Ihre Gesichter waren von der Sonne so verbrannt und die Haut so aufgesprungen, dass jede Berührung schmerzte. Das grelle Licht verursachte Schneeblindheit, eine Verbrennung der Hornhaut infolge des von den blendend weißen Schneeflächen der Antarktis reflektierten Sonnenlichts. Sie fühlte sich an, als habe man heißen Sand in den Augen. Die Hunde fingen an einzugehen, und Wilson unternahm das Experiment, die verendeten an die überlebenden zu verfüttern. Das Fleisch wurde von den hungrigen Hunden sofort verschlungen. Dann ging Wilson einen Schritt weiter und tötete die schwächeren Hunde, um mit ihnen die stärkeren zu füttern, und nannte dies seine »Metzgerarbeit«. Mit seinem empfindlichen Magen und seinen Schuldgefühlen gegenüber den Hunden konnte Scott dabei nicht helfen, obschon er sich für seine Schwäche verachtete.
    Während sie sich weiterkämpften, beschloss Scott, das Hundefutter und den größten Teil ihrer eigenen, noch verbliebenen Lebensmittelvorräte für die Rückreise einzulagern und weiterzureisen, ohne sich abzuwechseln. Doch es änderte sich wenig: Die Männer waren zu hungrig, um sehr viel Zugkraft zu haben, und litten nach wie vor unter Schneeblindheit. Zu ihren Sorgen kam hinzu, dass alle drei Symptome von Skorbut zeigten. Am Weihnachtstag vergaßen sie ihren Kummer und feierten mit extravaganter Kost, einem rührenden Symbol für ihren Mut und ihre Widerstandskraft.
    Doch das war nur ein vorübergehender Trost. Wilson litt entsetzlich unter der Schneeblindheit, die er sich beim Skizzieren ohne Brille zugezogen hatte. Seine schmerzenden Augen tränten so sehr, dass er nichts mehr sehen konnte. Er behandelte seine Augen mit flüssigem Kokain und verabreichte sich Morphium, damit er besser schlafen und seinen Schlitten weiter ziehen konnte. Während des Schlittenziehens trug er eine Augenbinde und stellte sich vor, durch Buchen- oder Tannenwälder zu gehen. Scott »lieh« ihm seine Augen und beschrieb die grandiosen neuen Bergketten, die im Südwesten in Sicht kamen. Wilson gelang es, eines seiner Augen lange genug offenzuhalten, um die Landschaft zu skizzieren. Den höchsten Berg, einen herrlichen zweigipfeligen Berg, nannten sie nach Sir Clements Markham. Am 30. Dezember 1902 erreichten sie ihren südlichsten Punkt, immer noch mehr als 750 Kilometer vom Pol entfernt, aber doch mehr als 460 Kilometer weiter südlich als je ein anderes menschliches Wesen vor ihnen. Im Laufe des Tages nahm Scott Wilson auf Skiern mit, um die im Süden sichtbare Bergkette zu kartographieren. Mit der ihm eigenen Großzügigkeit und Bescheidenheit nannte er ein in der Ferne liegendes Kap nach Wilson und einen nahe gelegenen Meeresarm nach Shackleton, aber nichts nach sich selbst. »Wir haben unser Pulver beinahe verschossen«, schrieb Scott. Sie konnten nicht wissen, dass sie sich beinahe in Sicht jenes Polarplateaus befanden, das Shackleton sechs Jahre später entdecken sollte. Die drei Männer versuchten, mit den Skiern weiter voranzukommen, um Land zu erreichen und einige Gesteinsproben zu nehmen, stellten aber fest, dass ihr Weg durch eine Spalte versperrt war.
    Umzukehren und sich wieder nach Norden zu wenden, muss für sie zugleich eine Erleichterung und eine Enttäuschung gewesen sein, doch bald zeichnete sich deutlich ab, wie sich die Rückreise gestalten würde. Sie wurde zu einem sorgfältig, ausgewogen geplanten Wettrennen zu den einzelnen Depots, bevor die Vorräte jeweils zu Ende gingen. Doch ihre Rationen mussten im Laufe der Reise immer weiter reduziert werden; sie mussten hungern und wurden anfällig für Skorbut. Sie waren körperlich schwach und seelisch niedergeschlagen, und die Hunde waren auch keine Hilfe; denn sie

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