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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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haben, die anderer Leute Leben beeinflussten, sie möglicherweise retteten oder verloren gaben.«
    Das war nur zu wahr. Erschüttert erinnerte sie sich, wie hoffnungslos es gewesen war, wie weit entfernt von diesem ruhigen Sommerabend in einem eleganten Londoner Salon, in dem der Farbton einer Abendrobe, der Schnitt eines Ärmels von Bedeutung war. Krieg, Krankheit, zerfetzte Körper, die Hitze, die Fliegen oder die schreckliche Kälte, das alles hätte ebenso gut auf einem anderen Planeten gewesen sein können, ohne jegliche Verbindung zu dieser Welt, abgesehen von einer gemeinsamen Sprache; und doch, Worte allein hätten niemals die eine Welt des anderen erklären können.
    Sie nickte.
    »Finden Sie es nicht außerordentlich schwierig, sich nach jenem Leben wieder in diesem zurechtzufinden?«, fragte er. Seine Stimme war sanft, aber aus ihr klang eine überraschende Eindringlichkeit.
    Wie viel hatte Callandra Judith Alberton oder ihrem Gatten erzählt? Würde Hester sie künftig bei den Albertons in Verlegenheit bringen, wenn sie aufrichtig sein würde? Vermutlich nicht. Callandra war nie eine Frau gewesen, die vor der Wahrheit floh.
    »Nun, ich kehrte mit der brennenden Entschlossenheit zurück, zu Hause all unsere Hospitäler zu reformieren«, sagte sie wehmütig. »Wie Sie sehen können, scheiterte ich aus mehreren Gründen. Der wichtigste Grund war, dass niemand glauben wollte, ich hätte auch nur die leiseste Ahnung, wovon ich eigentlich sprach. Immer noch herrscht die Auffassung, Frauen verstünden von Medizin rein gar nichts, insbesondere Krankenschwestern wären lediglich zum Aufrollen von Bandagen geeignet, zum Wischen und Polieren von Fußböden, zum Kohle und Schmutzwasserschleppen, und sie sollten im Allgemeinen nur tun, was ihnen aufgetragen wird.« Sie ließ es zu, dass ihre Bitterkeit zu hören war. »Ich brauchte nicht lange, um entlassen zu werden, und musste anschließend mein Geld mit der Pflege von Privatpatienten verdienen.«
    In seinen Augen lagen sowohl Bewunderung als auch ein Lachen. »War das sehr schwer für Sie?«, fragte er.
    »Sehr«, nickte sie. »Doch bald nachdem ich nach Hause zurückkehrte, lernte ich meinen Mann kennen. Wir waren … fast hätte ich ›Freunde‹ gesagt, aber das entspräche wohl kaum der Wahrheit. Gegner, allgemein gesprochen, würde es weit besser beschreiben. Erzählte Ihnen Lady Callandra, dass er als Privatermittler tätig ist?«
    In seinem Gesicht zeichnete sich keinerlei Überraschung ab und ganz sicher nichts, was Erschrecken nahe gekommen wäre. In der Oberschicht besaßen Gentlemen Ländereien, oder sie waren in der Armee oder der Politik tätig. Doch sie arbeiteten nicht im Sinne von Dienstleistenden. Handel war ebenso wenig akzeptabel. Welchem familiären Hintergrund Judith Alberton auch entstammen mochte, ihr Ehemann zeigte jedenfalls keinerlei Bestürzung darüber, dass sein Gast nur wenig besser war als ein Polizist, ein Beruf, der nur für die verabscheuenswertesten Elemente in Frage kam.
    »Ja«, gestand er bereitwillig zu. »Sie erzählte mir, einige seiner Abenteuer recht faszinierend gefunden zu haben, aber sie enthielt sich der Details. Ich nahm an, sie seien vertraulich.«
    »Das sind sie auch«, stimmte Hester zu. »Auch ich möchte nicht darüber sprechen, ich sage nur so viel, dass sie mich davor bewahrt haben, Aufregungen oder das Gefühl, Entscheidungen treffen zu müssen, zu vermissen. Überdies forderte mein Anteil an den Fällen nur selten die physischen Entbehrungen und persönlichen Gefahren, denen man als Krankenschwester in Kriegszeiten ausgesetzt ist.«
    »Und das Grauen und das Mitleid?«, fragte er leise.
    »Davor haben sie mich nicht bewahrt«, gestand sie.
    »Das ist nur eine Frage des Quantums. Aber ich bin nicht sicher, ob man für eine Person weniger Empfindungen aufbringt, wenn er oder sie in einer verzweifelten Notlage ist, als man es für mehrere tut.«
    »Vermutlich.« Es war Robert Casbolt, der sprach. Er trat direkt hinter Alberton und legte seine Hand freundschaftlich auf die Schulter seines Freundes, wobei er Hester interessiert betrachtete. »So viel die Seele eben ertragen kann, und man gibt alles, was man hat, stelle ich mir vor? Aus dem, was ich soeben mitgehört habe, schließe ich, dass Sie eine bemerkenswerte Frau sind, Mrs. Monk. Ich bin entzückt, dass Daniel die Idee hatte, Sie und Ihren Gatten zum Dinner einzuladen. Sie werden unsere gewohnte Konversation immens beleben, und ich freue mich darauf.«

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