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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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ihre Zaubertricks zu ermöglichen. Er hatte seine tiefste Befriedigung aus dem Staunen in den Augen der Konsumenten gewonnen, wenn seine Schöpfungen zum Leben erwachten. Damals, in der großen Zeit, hatte der Big Man Scotts Programmierleistungen regelmäßig mit manischen Ausbrüchen verbaler Übertreibung bejubelt, die meist mit »Das wird alles von Grund auf verändern!« begannen. Scotts beruflicher Erfolg hatte sein Selbstbild verändert, ebenso wie die merkwürdige, allgemeine kulturelle Verschiebung, die ihn aus seiner Nerd-Rolle befreit hatte, wobei er genau die inzwischen allerdings wieder einzunehmen schien.
    Zweieinhalb Stunden nach ihrem verstohlenen Treffen auf dem Parkplatz saß Scott Charlotte im Islands Restaurant in Irvine gegenüber, nippte an seinem zweiten Mango Margarita und brachte seine langatmige Erzählung über die Entwicklung der »Virtual University«-Software bei MindWare zum Ende. Besonders viel Spaß machte ihm die Beschreibung der Unfähigkeit der ersten Hackergruppe, die versucht hatte, seine Sicherheitsmaßnahmen zu knacken. Er schaute auf die Uhr. »Herr im Himmel, es ist ja gleich vier.« Sie eilten ins Büro zurück, und Scott registrierte nur kurz, dass Charlotte seine Hand zwei Sekunden lang drückte, als sie sich auf dem Parkplatz verabschiedeten. Sie stieg in den Fahrstuhl, und er nahm die Treppe. Wie unglaublich dämlich von mir , dachte Scott, als er ins Büro ging. Als würden die anderen nicht sowieso mitbekommen, dass wir drei Stunden weg waren.
    Um den Schein zu wahren, blieb er länger im Büro, und die Sonne ging schon fast unter, als er schließlich das Gebäude verließ. Bis er dann zu Hause ankam, war die lange Sommerdämmerung schon fast vorbei, die letzten glühenden Scheite des Tages waren im silbrig blauen Pazifik versunken, und in dem verbliebenen Licht bemerkte er die Erdklumpen in der Auffahrt genauso wenig wie die Kratzer im Beton, wo das zweite Gärtnerteam die Weide und einen Busch Wüstenlavendel hereingerollt hatte. Als sein Blick über die Glastüren schweifte, übersah er die seltsamen Silhouetten im Garten, die von den neuen Pflanzen herrührten. Die Bedeutung des Satzes »Schatz, sie haben heute den neuen Garten angelegt« entging ihm, als er seine beiden Söhne vorm Schlafengehen unter die Dusche scheuchte, ehe er ihnen eine halbe Stunde in ihrem Schlafzimmer vorlas. Wie erleichternd, ein paar familiäre Pflichten erfüllen zu dürfen, nachdem man einen quälend zähen und sinnlosen Tag im Büro verbracht hatte. Hier, in diesen aufgeräumten und sauberen Räumen, bei seinen Söhnen und seiner Tochter, hier war er König, Versorger und Chef in einem. Nicht zum ersten Mal dachte Scott, dass die private Befriedigung, seinen Jungen in diesem Zimmer vorzulesen, während das Art-déco-Sonnensystem über ihren Köpfen schwebte, dass dieses abendliche Ritual mehr als ein adäquater Ersatz für die berufliche Bewunderung sei, die er in der Vergangenheit erfahren hatte. Als er seine Tochter im Flur entdeckte, die im Schlafanzug auf ihn zuwackelte, zu ihm auflächelte und die Arme ausstreckte, eine wortlose Aufforderung, sie hochzuheben, und als sie ihre Ärmchen um seinen Hals schlang und ihren Kopf an seine Wange legte, da wurde das Gefühl noch einmal stärker, dass Scott, der Nerd, wundersamerweise seinen Platz in der Welt gefunden hatte. »Ich kann dir nie böse sein, Samantha, und wenn du zehnmal pro Nacht aufwachst.« Vaterschaft war ein Orden und eine Ohrfeige zugleich: Man konnte in einem Moment ein verfolgter Pygmäe sein, der einen Schrei der bedingungslosen Kapitulation unterdrückte, und im nächsten ein unsterblicher Held und Prinz. Scott vergaß die gehässige Geschäftsleitung und das Geld, das auf seinem Konto verdunstete, er steckte seine Kinder ins Bett und gab ihnen einen Gutenachtkuss.

9 Geh weg, geh weg. Scott lag in seinem Bett und schlug nach dem Kissenbezug, der ihn an der Nase kitzelte, doch in seinem Traum war es Charlotte Harris-Hayasaki, die er wegzuschubsen versuchte. Ihre Hände waren kalt und schwitzig, sie legten sich auf seine Wangen und Augenlider, er hatte Angst, dass Maureen sie sehen würde, wie sie ihm die Augen zuhielt, dass sie auf falsche Gedanken kommen könnte und ein schrecklicher Streit die Folge wäre. Er saß an seinem Schreibtisch am Arbeitsplatz, in einem vollgerümpelten Büro, umzingelt von Kistenstapeln, Charlotte stand hinter ihm, während er etwas auf der Tastatur zu tippen versuchte, und Maureen war im

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