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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Ladendieb vor. Jetzt gehört der Ocotillo mir. Die exotischen Arme des »Brennenden Dornbuschs« ragten über ihr auf, und jeder war mit schwarzen Stacheln dekoriert, die sich spiralförmig wie bei einer Zuckerstange um den Stamm wanden; eine wunderschöne Lebensform aus einem Land mit harscher, aber praktischer Ästhetik. Ich wäre gern so hübsch und stachelig wie diese Pflanze, ich würde die größte Hitze überleben und von muskulösen Mexikanern in frisch gestärkten Uniformen vor Schlimmerem gerettet werden. Die Arbeiter brachten weitere Kakteen heran, darunter einen, der kegelförmig aufblühende safrangelbe Blüten trug, offenbar das Wüstenäquivalent zu Maureens dahingegangenen Helikonien. Der Kakteengarten würde im Sonnenlicht viel stärker und lebendiger wirken, als ihr Tropengarten das je getan hatte; le petit Regenwald war im Vergleich dazu düster und leblos gewesen.
    Die Arbeiter schleppten Sandsäcke heran, liefen in einer Reihe mit den Säcken über der Schulter vom Lastwagen vorn in den Garten, wie Ägypter, die sich für ein Pharaonenprojekt plagten. Sie zogen Taschenmesser aus ihren Gürteltaschen – jeder hatte einen Werkzeuggürtel um –, schnitten die Säcke auf und schütteten rotgoldenen Sand und Steine in den Garten, und einen Augenblick lang sah das Stückchen Erde so kahl und öde aus wie der Mars.
    Im Büro von Elysian Systems ließ Scott Torres den Mauszeiger abwesend über den Bildschirm kreisen, ehe er schließlich fünf Worte abschickte, die in Lichtgeschwindigkeit von seinem Schreibtisch zum Großrechner der Firma im Keller sausten und von dort zurück in die Programmierer-Bürozellen, die er durch die halb offenen Jalousien von seinem Chefbüro aus sehen konnte. Wie erwartet, trat ein Lächeln auf Charlotte Harris-Hayasakis Gesicht, als das kleine Kästchen rechts unten auf ihrem Bildschirm aufklappte und sie die Frage las: Willst du Mittagessen gehen??? Robustus. »Robustus« und verschiedene Varianten davon (Robustus65, Scotus Robustus) war sein Username in verschiedenen Mail- und Message-Programmen, eine lateinische Anspielung auf seine Wurzeln im »robusten« Programmieren. Charlotte wandte sich vom Bildschirm ab, sah ihn durch die Scheibe direkt an, schenkte ihm ein Groupie-Lächeln und hielt den Daumen hoch. Diskret hob er ebenfalls den Daumen und schickte ihr eine weitere Botschaft übers Intranet: Treffen draußen ein Uhr. Innerhalb von nur einem Monat würde dies sein dritter Lunch mit Charlotte Harris-Hayasaki sein, und jeder hatte mit einem heimlichen Treffen auf dem Parkplatz begonnen, denn auch wenn die Programmierer sich wahrscheinlich von allen Angestellten am wenigsten um die Heimlichkeiten ihrer Kollegen kümmerten, konnte ihnen die Entwicklung der »besonderen Freundschaft« zwischen ihrem Chef und seiner Untergebenen allmählich kaum noch entgehen. Scott fand die rundliche, unmodische Charlotte nicht ansatzweise attraktiv; ihn zog lediglich ihre unreife Programmiererbegeisterung an, der jugendliche Enthusiasmus, mit dem sie sich seine alten Dotcom-Geschichten anhörte. Während des Bewerbungsgesprächs hatte sie durchblicken lassen, dass sie von seinem kleinen Beitrag zum frühen Boom der New Economy gehört hatte: Scott wurde im kurzen Wikipedia-Eintrag zu Sasha »Big Man« Avakian erwähnt, dazu in ein oder zwei anderen. In den letzten Wochen hatte Scott seinen Namen daraufhin bei verschiedenen Suchmaschinen eingegeben, was ihm ziemlich selbstverliebt vorkam, trotzdem war er doch einigermaßen enttäuscht gewesen, dass die Ford-Vertretung von Scott Torres in Salinas, Kalifornien, zwanzigmal so viele Treffer bekam wie Scott Torres, der Programmierer.
    Scott war nicht so erzogen worden, dass er sich Gedanken über sein Vermächtnis an die Welt machte. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter hatten ihren Ehrgeiz auf ihr privates Universum beschränkt, auf die Steaks, deren Fett zischend auf die Holzkohlebriketts tropfte, auf den Beagle, der hechelnd auf dem Betonboden des Innenhofs lag, und ganz allgemein auf den Wert der familiären Gesundheit und Sicherheit. Die Familie war der Arbeit auf den Erdbeer- und Kohlfeldern Kaliforniens und den horizontlosen Dörfern Maines entronnen und hatte es in South Whittier zu bescheidenem Wohlstand gebracht, was ihnen in Bezug auf den gesellschaftlichen Aufstieg vollkommen ausreichte. Scott war ihrem Vorbild gefolgt und zufrieden damit gewesen, ein paar mathematische und logische Probleme zu lösen und damit den Computern

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