In den Häusern der Barbaren
Nebenzimmer und konnte jeden Moment hereinspazieren. Es hatte Todesangst vor der Macht seiner Frau, Angst, sie könnte ihn aus seinem Heim und seiner Familie verbannen, er konnte Maureen im Nebenzimmer atmen hören, während Charlotte ihre Hände an seiner Brust hinabgleiten ließ und seine Hemdknöpfe aufzunesteln begann. Er wollte sich aus Charlottes Griff befreien, doch sie ließ ihn nicht gehen, und schließlich drehte er sich um und packte seine junge Untergebene bei den Schultern, um sie endlich wegzustoßen. Doch als er das tat, hörte er ein Schreien, das den verschwommenen Film in seinem Kopf abrupt zum Stehen brachte und ihn augenblicklich in sein dunkles Schlafzimmer versetzte, in dem das Weinen seiner Tochter aus dem Babyfon klang.
»Wäh! Wäh! Wäh!«
Maureen hatte sich Kissen und Deckbett über den Kopf gezogen. Sie murmelte etwas, das wie »Ja« klang, machte aber keine Anstalten, endgültig aus dem Schlaf aufzutauchen, weshalb Scott sich erhob und ins Kinderzimmer hinüberging. Seine Frau hatte ein so großes Schlafdefizit angehäuft, dass sie gegen Samanthas Geschrei immun war, und während Scott nun über die dunklen Flure schlich, verspürte er eine seltsame Mischung aus Mitleid mit Maureen und Verärgerung über die Gesamtsituation. Wenn sie ins Bett gingen, hatten sie jeden Abend wieder die Hoffnung, dass ihre Jüngste vielleicht gerade in dieser Nacht den Klammergriff auf ihre biologischen Uhren lockern würde, dass ein Morgen kommen könnte, an dem die kalifornische Sonne wieder ihr normales, sanftes Strahlen aussenden könnte und nicht das grelle Weiß, das morgens ihre Augen angriff, seit Samantha auf der Welt war. Aber nein, schon war Scott wieder um 2:06 Uhr wach, wie seine Armbanduhr zeigte – Herrgott, ich bin mit Armbanduhr eingeschlafen. Er bemerkte außerdem, dass er noch sein Bürohemd trug, auch wenn er es immerhin geschafft hatte, seine Pyjamahose anzuziehen. Er kam zu Samanthas Zimmer und fand sie wie üblich in ihrem Bettchen stehend, verwirrt und desorientiert, die rostroten Locken verschwitzt und zerwühlt. Komm zu mir, mein kleines Mädchen, ich hole dir deine Milch. Eines Tages wirst du ein großes Mädchen sein, und dann wird diese Folter ein Ende haben.
Während Scott sich um Samantha kümmerte und in der Küche darauf wartete, dass die Milch in der Mikrowelle warm wurde, glitt Maureen in eine lange Traumepisode hinein, deren Bilder ihr auch nach dem Aufwachen im Bewusstsein bleiben sollten. Mexikanische Tagelöhner trampelten durch ihr Haus, aßen ihr Essen, setzten sich auf die Tische, spielten mit Samantha. Ein Mann mit strähnigem, glänzendem Haar, das an schwarzes Heu erinnerte, versuchte ihren Couchtisch mit der Machete auseinanderzuschrauben, indem er die Spitze wie einen Schraubenzieher einsetzte. Was machen Sie hier? Bitte gehen Sie. Bitte. Die Gesichter und Fingernägel der Arbeiter waren schmutzverkrustet, und sie stießen beim Laufen durch die Wohnung gegeneinander und gegen die Möbel. Sie hinterließen kleine Häufchen roten Sandes auf dem Wohnzimmerboden, und wieder bat sie die Männer eindringlich zu gehen, doch sie antworteten auf Spanisch oder eher in einem Kauderwelsch, das nach Spanisch klang: La cosa mosa; la llaga es una plaga; waga, waga, waga. Nach dem Aufwachen würde Maureen denken: Ich habe noch nie auf Spanisch geträumt. Sie stopften sich Salatblätter in den Mund und nahmen große Schlucke aus Milch aus ihren Tetrapaks, Maureen sah sich nach Scott um, vielleicht könnte der sie zum Gehen bewegen, doch sie konnte ihn nicht finden. Sie ging in die Küche, wo jemand einen Gartenschlauch aufgedreht hatte, der Wasser in die Luft spritzte, worauf sie in ein anderes Zimmer rannte, von dem lauter Schranktüren abgingen, die sie aufriss, um darin zwischen Besen und Kisten nach ihrem Mann zu suchen, bis endlich Samanthas Schreie durch ihren Traum drangen und sie die Augen aufschlug.
Das Babyfon blinkte rot auf. Die Uhr auf ihrem Nachttisch zeigte 4:29 Uhr, und Scott schnarchte fast so laut, wie Samantha schrie. Vielen Dank, Scott. Es wäre schön, wenn mein Mann auch mal eine dieser Fütterungen übernehmen könnte, damit ich wenigstens einmal durchschlafen kann. Im Kinderzimmer sah sie die leere Flasche auf dem Boden und schloss daraus, dass er früher schon einmal aufgestanden sein musste. Ich habe sie schon wieder nicht schreien hören und einfach weitergeschlafen. Es war immer ein bisschen verstörend, wenn man vom Sirenengeheul seines eigenen
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