In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
seiner Wohnung fast nur Bong rauchte. Ich vermute, er roch auch unentwegt das brennende Cannabis durch meine Tür und suchte nur nach einem Anlass, damit wir uns endlich kennenlernten, wofür ich ihm dankbar war. Von da an besuchten wir uns regelmäßig und sprachen über Gott und die Welt. Er besaß unzählige Bücher und es fiel nicht schwer, sich in seiner Nähe eine deutliche Spur dümmer zu fühlen. Doch um so erstaunter war ich, als er auf die Superhero-Comic-Sammlungen in meiner Wohnung weder mit Kopfschütteln noch mit einem gönnerhaften Lächeln reagierte, sondern sich auf die Regale stürzte und mit weitgeöffneten Augen die Hefte herauszog und ihre bunten Hüllen studierte.
»Das will ich verstehen«, murmelte er. Ich war zwar nicht sicher, ob er damit mein pathologisches Befinden als Comic-Narr meinte oder die Inhalte der DC-Comics, doch nur Tage später kam er zurück, brachte geliehene Hefte wieder und plauderte über deren Inhalt.
»Es geht um das, was zwischen den Bildern passiert«, meinte er, während wir einen Joint rauchten. »Zuerst denkt man, es handelt nur davon, durch die Gegend zu fliegen und mit den Bösen zu kämpfen. Aber der Reiz besteht darin, dass diese Leute ein Privatleben haben. Dass sie Probleme haben.« Er schwieg einige Augenblicke und sammelte seine Gedanken. »So wie Katana, in deren Schwert die Seele ihres ermordeten Ehemanns lebt.«
Manzio konnte jedes Gespräch in die Twilight Zone verwandeln.
»Oder Victor Stone, der...« Er gestikulierte mit dem Finger in der Luft, auf der Suche nach der verlorenen Synapse.
»...der Cyborg«, ergänzte ich mit erstickter Stimme, da ich gerade Rauch in meiner Lunge hatte.
»Ja, Victor Stone, der Cyborg. Ein zorniger, junger Mann, der vom eigenen Vater bei einem wissenschaftlichen Experiment am ganzen Körper verstümmelt und dann von ihm zu einer halben Maschine umgebaut wird. Mann, Väter haben so was drauf...«
Wir nickten, versunken in unsere eigene Vergangenheit und fühlten uns wie Vic Stone, der Cyborg. Wie Unfälle unserer Väter.
Einmal erzählte ich Manzio, dass ich gerne schrieb. Bereits als Schüler hatte ich mir bei langweiligen Fächern die Zeit verkürzt, indem ich auf meine Löschblätter kurze Geschichten schrieb, über den Weltraum oder über ferne exotische Orte. Da ich jedoch nie viele Bücher las und mit Comics aufwuchs, fehlte meinen Texten stets die nötige Reife und Reflexion. Erst als ich begonnen hatte zu kiffen, gesellten sich verstörende und befreiende Elemente hinzu, die das Geschriebene in einem kunstvolleren Licht erscheinen ließen. Ich schrieb nicht oft und nicht viel. Es waren nur Fetzen und Fragmente. Selten mehr als drei Seiten. Mal ging es um meine Kindheit und meinen Bruder Roman, mal darüber, wie ich den letzten Job verloren hatte. Ich las Manzio einige dieser Fragmente vor, mit brüchiger, ungeübter Stimme, während er geduldig zuhörte und zwischendrin mit seiner Bong blubberte.
»Bildung ist nicht alles«, philosophierte Manzio. »Wenn es so wäre, müssten die besten Bücher stets von Literaturprofessoren oder Buchkritikern stammen. Doch das ist nur äußerst selten. Es geht schließlich darum, was du siehst, wenn du durch die Straßen gehst. Die kleinen Details. Und ob du es durch deinen Verstand so filtern kannst, dass es in geschriebener Form für mindestens eine andere Person Sinn macht. Nicht das, was du in anderen Büchern gelesen hast. Sehr belesene Autoren wenden eine Menge Energie auf, um all das Gelesene auch wieder auszublenden.«
Manzio hatte einige Semester Kunstgeschichte studiert. Dann folgte ein Semester Literaturwissenschaften. Er wollte auch Philosophie nachlegen, kam aber nicht durch die Aufnahmeprüfungen. Sein Vater besaß einen italienischen Feinkostladen namens »Luigi´s Delikatessen«, und Manzio versuchte ihm seit einigen Jahren zu erklären, dass der Apostroph vollkommen fehl am Platz war. Das führte zumeist zu einem Streit zwischen Vater und Sohn. Ein Streit, dessen eigentlicher Inhalt stets Manzio selbst war. Der Sohn und sein Desinteresse, etwas Vernünftiges zu studieren, damit er nicht wie sein Vater, täglich um fünf Uhr aufstehen musste. Der Sohn und sein Desinteresse, wenigstens in Vaters Laden zu arbeiten, um eines Tages die Geschäfte zu übernehmen. Bis zum Horizont nur Klischees.
Es gab niemals ein Treffen zwischen uns, bei dem nicht exzessiv geraucht wurde. Es hätte seltsam gewirkt. Wir drehten einen Dübel nach dem anderen. Ich meistens nur
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