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In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche

Titel: In den Spiegeln - Teil 1 - Das Hause der Kraniche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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aus, zusammen mit Menschen, die mich verabscheuten, weil ich mich daneben benommen hatte. Weil ich auf ihre kleine Legowelt gepinkelt hatte. Plötzlich reagierten alle nur noch einsilbig auf meine Fragen, als hätte hinter meinem Rücken eine kollektive Absprache zu meiner Person stattgefunden. Und ich zählte die Tage.
    Doch es gelang mir auch weiterhin, untätig zu bleiben. Kaum jemand versuchte mich dafür zu schikanieren. Alle warteten wohl auf den Tag X und wollten sich mit mir so wenig wie möglich infizieren.
    Am letzten Tag packte ich meine Habseligkeiten in meine Schultertasche und verließ wortlos die Firma, ohne auch nur einer Person auf Wiedersehen zu sagen. Draußen wartete der Paolo-Pinkas-Verschnitt auf mich. Er verpasste mir eine in den Magen, was die halbe Firma schweigend durch die großen Glasfenster beobachtete, stieg dann in seinen doofen BMW und fuhr davon. Ich war auf meine Knie gefallen und krümmte mich, so dass meine Haarsträhnen den nassen Gehsteig berührten. Als ich mich umsah, stand die Belegschaft noch immer am Fenster und blickte mich mit einer versteinerten Miene an, während sich der triste Abend über die Stadt senkte. Ich sah plötzlich, dass der tiefhängende Vollmond sich in der Pfütze vor mir spiegelte und mich verhöhnte mit seinem käsefarbenen Grinsen.
    Ich dachte in diesem Augenblick daran, wie Frau Trockengruber, Leiterin der Abteilung des Rechnungswesens, an jenem Tag, als der Tod von Freddie Mercury bekannt wurde, zu einer Freundin am Telefon gemeint hatte: »Geschieht ihm recht..«
    Damals wusste ich es mit Gewissheit: auf dieser Welt gab es eine Handvoll Menschen, doch der Rest waren nur Stinos. Die Stinknormalen. Und mit ihnen würde ich auf alle Tage im Krieg sein.
    Ich kann nicht sagen, dass ich niedergeschlagen war, als ich nach meinem letzten Arbeitstag meine Zelle betrat. Ich hatte dort beinahe sieben Jahre meines Lebens vergeudet. Doch ich ließ das Licht ausgeschaltet und setzte mich im Dunkeln auf das schmale Bett. Mein Magen schmerzte etwas von dem rechten Haken, und ich fühlte mich seltsam ferngesteuert. Als ob ich mir den letzten Tag bei »Brunner & Furlong« zu oft vorgestellt hätte, und nun musste ich darüber nachdenken, ob die Aufführung gut oder schlecht gewesen war.
    Doch da klopfte es bereits an der Tür. Und ich wusste, wer es war.
    »Arbeitslosigkeit macht doch nur mürbe, Mann«, sagte er zehn Minuten später, nachdem ich ihm die gesamte Geschichte erzählt hatte. »Nimm doch lieber eine Stelle bei ›Manzio Ltd.‹ an. Gute Arbeitszeiten, anständiger Lohn, keine Chefetage.«
    Manzio vercheckte Dope. In den Augen einiger Leute war er nicht gerade das, was man als einen Drogendealer bezeichnen würde. In den Augen einiger anderer war er genauso schuldig wie Crack- oder CrystalMeth-Pusher. Die Welt besteht ja immer aus den Schwarzweißmalern und jenen, die in grauen Abstufungen denken.
    Der durch und durch graue Manzio sagte zu mir: »Wenn du bescheiden bist und nur bei den heiligen Drogen bleibst, ist das Risiko überschaubar. Denn Cannabis nervt die Bullerei inzwischen nur noch und LSD und Pilze gehören in keine Szene. Außer in die von Aldous Huxley. Das ist das Dope von abgespaceten Einzelgängern und Naturwissenschaftlern. Keine Parties, keine Schulhöfe. Kein unmittelbares Blickfeld der Polente.
    Wenn das alles erst mal läuft, ist dein Leben ganz angenehm. Kein qualvolles Versauern in einer unbehaglichen Firma. Tagsüber liest du Bücher oder hängst in der Stadt ab. Abends beginnt dann die Schicht. Du hast ein kryptisches Notizbuch mit den Terminen der Leute, die dich besuchen. Wenn die weg sind, ist auch der Arbeitstag zu Ende.«
    Der verrückte Italiener gab mir diese tollen Tipps nicht nur, um zu demonstrieren, wie herausragend sein Leben reglementiert war (denn in Wirklichkeit war es einfach nur ein vollkommen epochales Chaos). Er hatte über 60.000 Mark auf diese Art zusammengespart und war es etwas leid, jeden Abend in die glasigen Augen der Kiffer zu starren, während sie ihm irgendetwas vorlallten, das er schon ungefähr tausendmal gehört hatte. Mit diesem Geld war er zufrieden und bei seiner eher vergeistigten und für den Luxus wenig anfälligen Lebensweise war das in der Tat auch viel Knete. Das unterschied ihn von dem hemdsärmeligen Koksdealer mit Porsche, der die 60.000 in einem Monat machte, doch kaum an dem existentiellen Problem vorbeikam, ein überdimensioniertes Arschloch in einem viel zu kleinen Auto zu sein.
    Nun,

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