In den Spiegeln - Teil 3 - Aion
vermutlich kam, um uns zu töten.«
Kerstin schaukelte nachdenklich mit den Füßen unter der Sitzbank.
»Ich bin dir dankbar für deine Tat. Ich kann dir versichern, sie war nicht dort, um dich zu töten. Sie hatte keine Ahnung, dass du da bist. Ihr Auftrag war es, Theophil Schorm zu beschatten, nicht, mit ihm in Interaktion zu treten.« Sie hielt inne und blickte mich an. »Wenn du bei Schorm warst, warst du vorher bei Rafael oder sogar Michael.«
Ich schwieg.
»Hattest du die Ambrosia gegessen?«
Ich nickte stumm.
»Wie war dein Eindruck?«
Nachdenklich suchte ich nach passenden Worten. »Ich war... überwältigt.«
»Ein schmieriges Orientierungsvideo der Engel. Ein interaktiver Propagandastreifen auf Halluzinogenbasis. Wir bringen die Ordnung, bla bla. Wir organisieren die Zukunft, bla bla. Wir sorgen für Harmonie, bla bla. Reich der Liebe, bla bla.«
»Vielleicht ist nichts schlechtes daran, ein Reich der Liebe zu erbauen«, argumentierte ich.
»Hat er von den Dämonen, als dem Abfallprodukt der Baryogenese gesprochen?« zitierte Kerstin abfällig schnaufend. »Das Mirillium am Ende der Zeit? Unter der sanften, gerechten Führung der Engel? Die könnten nicht mal einen Hamsterkäfig regieren. Pah...« Das Mädchen blickte mich ernst an und verband, mehr einem alten Professor ähnelnd, den Zeigefinger und Daumen zu einem Ring und bewegte ihn während der Ausführungen auf und ab. »Weißt du, dass Engel nicht einmal eine eigene Sprache haben? Mit uns Menschen müssen sie in ihren eigenen Mundarten sprechen, die wiederum alle auf das Dam-Har der Dämonen zurückzuführen ist. Und wie kam das zustande? Der Engel Luzifer erschuf aus dem Geist der Dämonen die Sprache und gab sie den Menschen. Vor über fünfzigtausend Jahren. Das größte Geschenk, das auf diesem Planeten jemals überreicht wurde.«
»Der Teufel gab uns die Sprache?«
Kerstin sah mich tadelnd an und verzog den Mundwinkel.
»Manchmal glaube ich, du bist noch bikameral. Oder ein Mykoplasma. Das Wassermann-Zeitalter soll nicht den Engeln und nicht den Dämonen gehören, sondern den Menschen. Um das zu ermöglichen, sind wir hier. Abschaffung des Geldes, Abschaffung der Politik, Abschaffung sämtlicher Religionen. Freie Nahrungsmittel für alle, freie Energieressourcen für alle. Der Mensch, der endlich beginnen kann, sich mit den Problemen zu befassen, die in ihm innewohnen, anstelle sich stets unter Problemen zu krümmen, die ein Haufen Ausbeuter im Anzug auf seine Schultern bürden.«
»Das ist sehr idealistisch... Für einen Teufelsdiener.«
»Die Inferni waren stets große Idealisten. Niemand ist so human, wie der Teufel.«
»Es wird nicht sehr einfach sein, eine solche Utopie umzusetzen...«
»Wir werden sehen.«
»Sie haben versucht mich zu rekrutieren«, wechselte ich das Thema.
Das Mädchen verzog den Mundwinkel. »Die Engel sind verzweifelter, als ich dachte.«
»Ich will einfach nur ausschlafen. Ich will, dass mich eurer arroganter Arzt untersucht, denn ich fühle mich beschissen. Ich glaube, meine Leber ist im Eimer. Ich habe kein Geld und keine Bleibe.«
Kerstin zog das Knie hoch und stützt ihr Kinn darauf ab.
»Wir sind kein Hotel, du mysteriöses Trampeltier.«
»Aber ich weiß jetzt, was du von mir wissen wolltest«, erwiderte ich selbstbewusst und lauschte den flüsternden Baumkronen.
Das Mädchen schwieg einige Augenblicke und blickte mich nachdenklich an.
»Ich höre«, sagte es schließlich.
Ich genoss noch kurz den Augenblick, dieses Gefühl von kurzer und doch erstmaliger Bewegungsfreiheit auf dem Spielbrett. Dann blickte ich das Mädchen an.
»Wer ist Damian Stagnatti?«
»Oh-o«, lachte Kerstin gekünstelt auf. Es klang mehr wie ein schmerzvolles Stöhnen.
Sie schwieg wieder und ich sah im Augenwinkel, dass sie undeutlich den Kopf schüttelte und sich auf die Unterlippe biss. Dann wandte sie sich von mir ab und machte eine unauffällige Geste zu Sargon hinüber. Der Kriegerchef kam herbei und blieb einige Meter entfernt stehen und tat so, als würde er etwas in sein Mobiltelefon tippen.
»Nehmt ihn mit und lasst ihn paar Tage bei uns wohnen. Wir sehen dann weiter.«
Sargon nickte nicht und gab auch sonst keinen Laut von sich, sondern kehrte gelangweilt zum Lastwagen zurück.
»Könnte interessant werden«, äußerte sich Kerstin nachdenklich.
Nun rutschte das Mädchen von der Parkbank herab und glättete sein Kleidchen.
»Was hast du eigentlich zur Apythia gesagt, um so einen abgewrackten
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