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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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davon hat man bis heute keine exakte Vorstellung. Alle Bemühungen der Wissenschaftler, eine Kommunikation mit Sankt Damokles zustande zu bringen, sind mißlungen.« Er leerte sein Glas.
    »Hmmm.« Clay betrachtete seine Hände, beschmutzt mit dem unsichtbaren, unauslöschlichen Dreck der Tiefstadt von Metrocago. »Zerschmettert, sagen Sie? Wie sind diese sogenannten Gottesurteile denn abgelaufen?«
    »Sie tun gut daran, von sogenannten Gottesurteilen zu sprechen, Comptroller«, sagte Jambavat. »Ich möchte keinesfalls das Mißverständnis aufkommen lassen, wir mäßen Sankt Damokles eine irgendwie theistische Bedeutung zu. Die richtige Bezeichnung lautet Sankt-Damokles-Justiz.« Er schwieg einen Moment lang, um sich zu besinnen. »Im Grunde genommen war es eine ganz einfache Sache. Die Kontrahenten begaben sich unter die Plasmamasse und trugen ihre Versionen des fraglichen Vorgangs vor. Dann stürzte Sankt Damokles herab und zermalmte den Lügner. Das sind die einzigen Anlässe, bei denen die Plasmamasse sich je bewegt hat. Derjenige Kontrahent dagegen, der die Wahrheit gesprochen hatte, wurde vom Ferroplasma, das den Boden bedeckt, in eine Art Tasche gehüllt und vor dem gleichen Schicksal bewahrt. Den Lügner hat das Plasma verzehrt, und Sankt Damokles stieg wieder in die Höhe.« Der Sozialkoordinator machte eine schwer zu deutende Geste. »Das alles ist Vergangenheit, Mr. Dalmistro. Die Sankt-Damokles-Justiz wird längst nicht mehr praktiziert. Bei strenger Auslegung muß man feststellen, daß sie auf Todesurteile für zum Teil unverhältnismäßig geringfügige Delikte hinauslief, von der Fragwürdigkeit der Todesstrafe an sich gar nicht zu reden. In den wilden Anfangszeiten einer Kolonisation mag so etwas zur Not angehen, wenn die Rechtsunsicherheit groß ist und Stärkere versuchen, ihr sonderbares Gesetz des Stärkeren durchzusetzen und ihre Interessen auf Kosten anderer durchzudrücken. Wenn mein Gedächtnis nicht trügt, hat seit ungefähr dreißig Jahren niemand mehr die Sankt-Damokles-Justiz in Anspruch genommen. Wir sind über so etwas hinausgewachsen.«
    »Hmm.« Clay schüttelte den Kopf. »Eins verstehe ich nicht. Wieso hat denn jemand, der etwas angestellt hatte und deshalb damit rechnen mußte, von Sankt Damokles den Garaus zu kriegen, sich überhaupt darauf eingelassen?«
    »Zunächst stieß diese Methode der ›Rechtsprechung‹ noch weithin auf Unglauben«, erläuterte Jambavat. Sein nach innen gekehrter Blick betrachtete versonnen halbvergessene Erinnerungsbilder. »Ich entsinne mich daran, daß so mancher, der diesen Weg der Wahrheitsfindung hätte scheuen müssen, bis zur letzten Sekunde laut gelacht hat. Mit der Zeit stellte sich dann gesellschaftlicher Druck ein. Wer die Aufforderung, sich der Sankt-Damokles-Justiz zu unterwerfen, abgelehnt hätte, wäre von vornherein für schuldig gehalten worden. Es ergab sich dann auch die Tendenz, daß Leute, die bloß Kleinigkeiten angestellt hatten, sie lieber eingestanden ... Zuletzt haben sich höchstwahrscheinlich nur noch wirkliche Kapitalverbrecher, die einen Lebensweg der Habgier und Niedrigkeit bestritten hatten, auf die Sankt-Damokles-Justiz eingelassen. Mit dem Entstehen eines eigenen Rechts auf der Venus, das sich mit Streitfällen beschäftigt, auf die das Ferroplasma keinen präventiven Einfluß nimmt, hat man eine so drastische Form der Justiz mehr als verfehlt empfunden. Darin ist ein Ausdruck des Weges der menschlichen Reife zu sehen, den wir Venusier eingeschlagen haben.«
    »Hm«, machte Claybourne abermals. Bevor er etwas sagen konnte, meldete sich Tasche zu Wort.
    »Leider muß ich mitteilen, Comptroller, daß meine Untersuchung der aus den Datenbanken der IMFG transferierten Informationen, soweit sie von buchhalterischem Belang sind, unter steuerprüferischen Aspekten als unergiebig eingestuft werden müssen.« Tasches Stimme zeigte einen Anflug transistorisierten Bedauerns.
    »Welche Erklärung gibt es dafür?« Mißmutig drehte Clay das Glas zwischen den Händen. Er hatte Durst und mochte nicht trinken. Er wollte etwas unternehmen und konnte nicht.
    »Erstens, Comptroller, ist das Datenmaterial lückenhaft. Dieser Umstand ist auf die stattgefundene Transfersabotage zurückzuführen. Zweitens sind – aus derselben Ursache – eine Vielfalt sachfremder Daten untergemischt. Drittens reichen die erkannten Buchungsvorgänge eher zweifelhaften Charakters, wie sie in der Zwischenschaltung von Finanzoasen, Lokationsdarlehen,

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