In den W?ldern tiefer Nacht
erkundigte er sich. »Ich teile deine Vorbehalte nicht, Risika. Ich jage, wenn ich es möchte, wie ich es schon immer getan habe.«
»Jage gefälligst woanders«, sagte ich. Seine Augen wurden schmal.
»Wer... w-was wollen Sie?« stammelte Katherine und trat zurück. Sie atmete hektisch, und ihr Herz schlug schnell vor Angst.
Aubrey verschwand von dort, wo er gestanden hatte, und tauchte hinter ihr wieder auf. Katherine stolperte gegen ihn und keuchte erschrocken.
Aubrey flüsterte ihr etwas ins Ohr, und sie entspannte sich. Dann hob er die Hand und bog sanft ihren Hals zurück, bis ihre Kehle frei lag...
16
Heute
Ich werde schlagartig wach und bin sofort auf der Hut. Jemand ist im Haus, in diesem Zimmer.
Ich stehe auf. »Warum versteckst du dich, Aubrey?« frage ich die Schatten.
»Hast du endlich Angst vor mir? Hast du Angst, daß du verlieren wirst, wenn du mich noch einmal herausforderst?« Ich weiß natürlich, daß Aubrey keine Angst vor einer Niederlage hat, aber ich bin in der Stimmung, ihn zu verspotten, genau wie er auch.
Es gibt eine Stichelei, die bei einem Vampir fast immer eine Reaktion erzeugt: wenn man ihn bezichtigt, Angst zu haben.
»Ich werde dich niemals fürchten, Risika«, antwortet Aubrey, während seine Gestalt sich aus den Schatten des Zimmers schält.
»Das solltest du aber«, entgegne ich. Die Kraft eines Vampirs wird durch starke Gefühle – Haß, Wut, Liebe – verstärkt, und Aubrey weckt all diese Gefühle in mir. Trotz meines Hasses werde ich verlieren, wenn ich mit ihm kämpfe. Diese Lektion habe ich schon vor langer Zeit gelernt. Aubrey ist älter, stärker und wesentlich grausamer als ich.
Im Moment lehnt er jedoch lässig an der Wand, wirft sein Messer in die Luft und fängt es wieder auf. Wirft es, fängt es. Hoch, runter. Das blasse Licht spiegelt sich in der Klinge, und ich habe plötzlich das Bild im Kopf, wie Aubrey danebengreift und das Messer sein Handgelenk aufschneidet.
Er hat seinen Stil seit dem 18. Jahrhundert modernisiert: Er trägt schwarze Jeans, die in schwarzen Stiefeln stecken, ein enges rotes Hemd, unter dem sich seine Brustmuskeln abzeichnen, und ein nietenbesetztes Hundehalsband. Die grüne Viper ist durch die Midgardschlange der nordischen Mythologie ersetzt worden, die einst bei der Zerstörung der Welt eine Rolle spielte. Auf seinem Oberarm sitzt die griechische Echidna, die Mutter aller Monster, und auf seinem rechten Handgelenk Fenris, der germanische Wolf, der die Sonne geschluckt hat.
Ich frage mich, was Aubrey tun wird, wenn diese Tätowierungen ihn irgendwann einmal langweilen. Vielleicht schneidet er sie dann einfach mit einem gewöhnlichen Messer ab. Sein Fleisch würde sowieso in Sekundenschnelle heilen. Vielleicht sollte ich ihm meine Hilfe anbieten... es würde sicher niemanden stören, wenn ich dabei aus Versehen sein Herz herausschneiden würde.
»Was willst du hier, Aubrey?« frage ich schließlich, da ich nicht warten will, bis er das Wort ergreift.
»Ich bin nur hier, um dir mein Beileid wegen deines armen, zerbrechlichen Kätzchens auszusprechen.«
Mein Körper erstarrt vor Wut. Aubrey weiß, wie er mich verletzen und dazu bringen kann, die Kontrolle zu verlieren. Es ist ihm schon öfter erfolgreich gelungen.
Ich gehe auf ihn zu – um ihn zu schlagen, um ihm so wehzutun, wie er mir wehtut.
»Vorsicht, Risika«, sagt er. Nur diese beiden Worte, aber ich bleibe stehen.
»Vergiß nicht, was bei unserem letzten Kampf passiert ist.«
»Ich habe es nicht vergessen«, knurre ich. Meine Stimme ist vor Wut und Schmerz verzerrt. Ich erinnere mich – ich erinnere mich zu gut.
»Du hast immer noch die Narbe, Risika. Ich kann sie sogar von hier aus sehen.«
»Ich habe es nicht vergessen, Aubrey«, antworte ich. Er hat denselben Gesichtsausdruck wie damals: kalt, distanziert, ein wenig amüsiert, ein wenig spöttisch. Er weiß, wieviel Tora mir bedeutet hat, und ich weiß, daß er mich nur besucht, um mich zu einem weiteren Angriff zu bewegen.
Ich frage mich, was für ein Leben Aubrey zu dem gemacht hat, was er ist. Jeder Psychologe würde ihn liebend gern analysieren. Aubrey weiß genau, was er sagen und tun muß, um andere zum Weinen, Lachen, Betteln, Fürchten, Hassen, Lieben oder sonst was zu bringen, was er will. Ich habe schon mutige Männer vor Angst rennen sehen, Menschen in Kriege ziehen, Vampirjäger sich aufeinander
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