In der Hitze der Stadt
meisten Morde hatte auch er wenig mit der Religion zu tun, mit dem Glauben noch viel weniger. Es ging um Minderwertigkeitsgefühle und um diesen ganz primitiven Stolz eines einzelnen dummen Mannes.
Diesen primitiven Stolz.
Jetzt ein Espresso, oder zwei, dachte Baumer. Er war endlich wieder bei sich selbst. Aber es war noch nicht Zeit. Das Eisen musste geschmiedet werden, so lange es heiß war.
Der Kommissar stand auf, schloss die Tür, die Schneider hinter sich offen gelassen hatte. Bevor er sich wieder setzte, packte er sein Handy und tippte rasch eine SMS an Rolf Danner ein. Er schrieb: »Onkel ist biologischer Vater von Mina. Erin Azoglu hat Mord zugegeben. Details später.« Als die SMS abgeschickt war, drehte er sich langsam zu Azoglu und schaltete das Handy ab. Er wollte jetzt nicht gestört werden.
Baumer setzte sich im rechten Winkel zu dem Geständigen. Er bedrängte ihn nicht, setzte sich einfach zu ihm, wie zu einem depressiven Freund. »Was ist geschehen, heute morgen, Erin?« Unbewusst nahm er die Haltung des in sich versunkenen Türken an, ließ ebenso die Arme zwischen seinen Beinen hinunterhängen, krümmte den Rücken.
Azoglu reagierte nicht.
Heinzmann lehnte zwei Meter daneben stumm an der Wand. Er betrachtete die beiden in Ruhe.
Es geschah nichts.
Erst als Baumer ebenso wie Azoglu seinen Kopf hängen ließ, sich sogar in der Atmung dem Türken anpasste, begann der zu erzählen.
»Ich wollte immer viele Kinder. Große Familie«, begann er zu erklären, und seine leisen Worte kamen aus ihm heraus, wie ein feiner Wasserstrahl aus einer zierlichen Brunnenfigur rinnt. Als er Clara kennenlernte, erzählte er, sei er voller Hoffnung gewesen. Er habe geglaubt, dass er das große Los gezogen habe. »Ich werde Familie haben, bekomme den Schweizer Pass«, sagte er. Aber Clara war eine Enttäuschung für ihn. Sie habe ihn nur zu Beginn geliebt, sei dann aber immer verbitterter geworden, als es mit dem Kinderwunsch nicht klappte. Als sie dann doch schwanger wurde, hatte er wieder gehofft, dass alles gut werde. Und als Emine dann auf die Welt kam, war er auch glücklich. Aber nicht lange. In der Ehe habe es immer mehr Streit gegeben. Wie das Mädchen zu erziehen sei. Er wollte, dass sie ein gutes muslimisches Mädchen würde. Anständig, ehrbar, nicht so, wie diese Schweizer Nutten. Mädchen, deren kleine Knospen man unter ihren billigen T-Shirts sehen könne und die kein Kopftuch trügen. Auch wollte Clara bei allem mitreden und mitentscheiden, das gehe doch nicht. Der Vater bestimmt doch, wie die Kinder zu erziehen seien! Als ihm Emine dann voller Stolz zeigte, welche Blutgruppen es gibt, habe er es entdeckt.
Azoglu hatte sich bei der Erzählung kaum bewegt. Nun hob er doch kurz den Blick. Als er die beiden Polizisten sah, die ihn nicht musterten, nur ruhig irgendwohin schauten, konnte er es sagen. »Ich habe gemerkt. Emine ist Bastard. Nicht mein Kind.«
Nur Bastard.
Azoglu schürzte den Mund, erzählte weiter, wie er voller Rachedurst seinen Plan geschmiedet hatte. Beide sollten sterben. Clara und der Bastard. Aber er wollte nicht ins Gefängnis dafür. Warum auch? Nach den uralten Gesetzen seines Heimatdorfes war das mehr als richtig. Es war gerecht. Und dieses Recht konnte ihm niemand streitig machen. Ja, er wollte Gerechtigkeit! Seine Ehre musste wiederhergestellt werden. Das war das Allerwichtigste.
Heinzmann entfuhr ein leises Murren, und er wechselte von einem Bein auf das andere. Dann hatte er sich wieder im Griff, war wieder der Indianer vor seinem Drugstore in New Mexico.
Baumer saß still, hörte zu.
»Ich habe Plan«, erzählte der Kindsmörder. »Ich töte nur Kind. Keiner wird denken, dass das Vater gemacht. Kein richtiger Vater tötet Kind. Du ja auch denken.« Er zeigte mit dem Finger auf Baumer.
Der nickte sachte. Es war eine instinktive Bewegung.
»Und Mutter dann sowieso tot. Macht sicher Selbstmord.«
Eine bestechende Idee, mussten sowohl Baumer, als auch Heinzmann die irrsinnigen Gedanken dieses Mörders nachvollziehen. Erins Strategie wäre auch beinahe aufgegangen. Einzig ihr Bauchgefühl stand dazwischen. Ein Gefühl, gespeist aus stundenlangen Verhören mit Verbrechern, aus ungezählten Lügen, die ihnen über all die Jahre von ihren Kunden im Verhör, aber auch von fast jedem Menschen aufgetischt wurden, mit dem sie einmal bei einem schwarzen Kaffee zusammensaßen und einen kurzen Schwatz hielten.
Heinzmann musste nachhaken, obwohl er die nächsten Sätze von
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