In der Mitte des Lebens
Glauben, der frohen Botschaft, dass Gott die Menschen ohne Voraussetzungen liebt – eine Verkehrung in allergrößte Absurditäten. Das kann
eigentlich kaum jemand ernst nehmen – und vielleicht ist die Studie der Purdue University beruhigend, die besagt, dass Christen in den USA weit molliger
sind als andere Amerikaner – vielleicht nehmen sie den Diätwahn ja gelassener oder sind die größeren Genießer. Aber dass als Konfirmationsgeschenk immer
öfter eine Brustvergrößerung oder eine Nasenkorrektur gewünscht wird, muss zu denken geben. Ich wünschte mir damals einen Plattenspieler. (Auch ich habe
mich bei der Konfirmation 1972 allerdings schon zu dick gefühlt, so neu ist das alles wohl gar nicht, nur extremer.)
Aber ernsthaft: Bulimie und Anorexie sind heute in Deutschland weit verbreitet. Gerade Mädchen leiden zum Teil entsetzlich, wenn sie den Magermodels
mit Größe 32 nicht entsprechen. Sie hungern und erbrechen, haben Angst vor jeder Kalorie undunterdrücken die Lust am Stück Sahnetorte,
und gleichzeitig erobern Fast Food und Supersize-Portionen den Markt … Dieser Druck zur Konformität mit einem Idealbild und die permanent erzeugte
Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sind traurig, finde ich. Mit der biblischen Lust und Freude am Verschiedenen, am Schönen, mit dem Moment des
Staunens und der Liebe hat das alles nichts zu tun.
Das Sprichwort sagt: »Schönheit liegt im Auge des Betrachters«, und damit kommen wir der Schönheit vielleicht auf die Spur. Die Liebe macht den anderen schön, lässt die andere schön sein in meinen Augen. Das können wir in allen Liebesliedern der Welt nachlesen – in der Bibel zum Beispiel im Hohelied Salomos, das schon so manche trockene Konfirmandenstunde spannend werden ließ. »Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du. Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Silead« (2,1ff.) – obwohl, »Ziegenhaar«, da fing das Gekicher schon an. Wer findet was schön? Aber geht es nicht wunderbar weiter: »Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden« (4,5) – da erfreut nicht zuletzt das Wunder, dass ein solcher Text in der Bibel bleiben durfte.
Mich freut, dass die Bibel Schönheit und Liebe begeistert feiert. Wie oft ist das in der Kirchengeschichte ignoriert worden. Nicht Begeisterung, sondern Sündenbewusstsein, nicht Liebe als Geschenk Gottes, sondern Keuschheit als Lebenshaltung wurden da gepredigt. Ach, wie viel Lebensfreude und Lebenslust wurden so zerstört. Die Bibel hält da eine gute Balance, finde ich. Einerseits wird Schönheit geliebt und gepriesen: »Du bist wunderschön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir« (Hohelied Salomos 4,7). Andererseits heißt es in den Sprüchen: »Lieblich und schön sein ist nichts; ein Weib, das den Herrn liebt, soll man loben« (21,30). Diese Balance hält auch das Neue Testament mit der Warnung vor ihrer Vergänglichkeit, etwa im Jakobusbrief:»Die Blume fällt ab und ihre schöne Gestalt verdirbt; so wird auch der Reiche dahinwelken in dem, was er unternimmt« (1,11), und andererseits den Lilien auf dem Feld, deren Schönheit gepriesen wird (Matthäus 6,28). Und Jesus selbst konnte sich salben lassen, er feierte und wusste das Schöne im Leben zu schätzen. Sich selbst gut tun, das ist biblisch gesehen nicht verwerflich.
Ein schöner Tag kann ein Tag sein, der einfach gelebt wurde. Schön eine Zeit, die intensiv war. Schön der »Glanz Gottes, der aus Zion hervorbricht« (Psalm 50,2): Das ist Schönheit im Moment, das Spüren des Lebens, die Wahrnehmung der Natur, ein Lachen, das aus der Tiefe kommt. Ja, und da ist die Schönheit des Menschen. Aber sie zeigt sich nicht in Body-Mass-Index-Einheiten. Ein schöner Mensch – voller fröhlicher Energie. Ein Mensch, der etwas weiß und zeigt vom Leben in aller Tiefe. Schönheit ist die Eigenheit jedes Menschen, geschaffen von Gott. Alle verschieden. Der kleine behinderte Junge und das Model, der rundliche Mann und die alte Dame, die mit der krummen Nase und der mit den breiten Ohren. Ich empfinde ein Mädchen mit Down-Syndrom schön, weil sie von innen her strahlt und etwas spüren lässt von der Liebe zum Leben, vom Glücklichsein. Schön ist auch ein Tag, an dem ich etwas geben konnte, an dem ich für jemanden wichtig war, oder ein Tag, an den ich gern zurückdenke. Schön ist ein Moment der Stille am
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