In der Mitte des Lebens
Fall war.
Bei aller Verschiedenheit aber scheint der 50. Geburtstag doch für fast alle Menschen ein besonderer Anlass zum Innehalten zu sein. Wahrscheinlich
liegt das daran, dass wir mit fünfzig wissen: Das Leben wird ein Ende haben. Mit fünfzig haben wir ja die Lebensmitte längst überschritten, auch wenn wir
heute mit einem längeren Leben rechnen können als unsere Eltern und Großeltern. Trotzdem ist fünfzig – sagen wir, als »gefühlte Mitte« – ein besonderer
Punkt im Leben. Vielleicht liegt es daran, dass wir nun wirklich und endgültig nicht mehr jung sind. Wir können uns noch so jugendlich geben, 50-Jährige
haben den Scheitelpunkt hin zum Alter überschritten. Altsein aber will niemand in einer Gesellschaft, die geradezu fanatisch auf Jungsein fixiert
ist. Insofern erleben manche mit fünfzig auch eine erhebliche Krise, die Frage auch, ob es anders hätte sein können, hättest du früher anders
entschieden. Viele Lieder drücken das aus. Ich denke an eines von Amy MacDonald, Mr. Rock ’n’ Roll, in dem sie singt »I wish I knew you before« (ich
wünschte, ich hätte dich früher gekannt) und Menschen in der Mitte des Lebens beschreibt, die trauern, dass sie sich so spät oder auch zu spät
begegnen.
Die Mitte ist also voller Spannungen. Mehr als die halbe Wegstrecke ist vorüber, und doch bin ich noch mittendrin, gespannt und ein bisschen bange
zugleich, was noch alles kommen wird. Ich habe versucht, diese Spannungen in zehn großen Bögen zubeschreiben. Als Christin weiß ich mein
Leben in Gottes Hand, in jedem Alter. Und so gehört für mich zu den Aspekten des Älterwerdens die biblische oder schlicht christliche Perspektive. Dabei
geht es nicht um biblische, exegetische oder dogmatische Studien. Es geht mir vielmehr um eine biblisch gegründete Lebenshaltung, von der aus die
existenziellen wie die aktuellen Fragen bedacht werden. Und wenn dies ein Buch vor allem für Frauen ist, gilt all das übrigens für Frauen, die Mütter
sind, genauso wie für Frauen, die keine Mütter sind. Zwei Single-Frauen haben das Manuskript gelesen, weil ich vermeiden wollte, dass aus diesem Buch
aufgrund meiner persönlichen Situation ein reines Mütter-Buch wird; es geht um Frauen in verschiedenen Lebenssituationen, die in dem Alter sind, über die
Mitte des Lebens nachzudenken. Beim Schreiben ist mir deutlich geworden, dass Männer sicher vieles anders empfinden, insofern müsste wohl in der Tat ein
Mann das Buch für die Männer in der Lebensmitte schreiben …
Ich möchte mit diesem Buch vor allem Mut machen, über die eigene Lebensmitte nachzudenken. Viel zu oft lassen wir Zeit einfach vergehen. In der Mitte
des Lebens merken wir: Unsere Lebenszeit ist begrenzt. Wir sind schon eine ganze Strecke gegangen; und es werden noch einige Wege zu gehen sein. In der
Mitte ist die Gelegenheit zu bedenken, dass ein Ende kommt – dass wir sterben müssen. Das zu wissen und zu bedenken führt dazu, »dass wir klug werden«
(Psalm 90). Auch schon mal zwischendurch ans Ende zu denken, das hat nichts mit Angst zu tun – im Gegenteil, dazu gehört der Mut, das Leben bewusst
wahrzunehmen und in all seiner Endlichkeit das Glück zu entdecken und die begrenzte Zeit mit Lebenslust und mit Lebensklugheit zu feiern. Ich denke, das
kann gelingen, zumal aus christlicher Perspektive der Tod nicht das letzte Wort hat. Da ist an Ostern das Ende ja gleichzeitig ein neuer Anfang.
Die Kapitel dieses Buches sind sehr verschieden. Manches Thema habe ich von einem biblischen Text aus betrachtet, andere von Tagebucheintragungen her,
wieder andere durch Briefe oderschlicht Erzählungen. An einzelnen Stellen habe ich zurückgegriffen auf Texte, die ich in anderem
Zusammenhang geschrieben habe. Auch ist die Struktur der einzelnen Kapitel nicht gleichförmig, sondern spiegelt eher etwas von der Buntheit und Vielfalt
des Lebens. So ist ein Buch entstanden, das nicht in einem Durchgang gelesen werden muss, sondern hier und da eine Möglichkeit bietet, mit den eigenen
Überlegungen zur Mitte des Lebens anzuknüpfen und sie zu vertiefen. Denn jede Frau nimmt unterschiedlich wahr, befindet sich in einem anderen Umfeld –
und doch gibt es ein gemeinsames Grundgefühl in diesem Alter, denke ich, das sich aus christlicher Perspektive betrachten lässt.
Die Mitte finden
Die Mitte des Lebens erscheint mir in mancher Hinsicht wie ein Balanceakt. Viel Leben liegt schon hinter uns, einige
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