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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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und jenes Leben zu riskieren.
    Und das war er.
    In jenem Winter wurde er zwanzig Jahre alt, und er wusste ganz genau, wie der Rest seines Lebens aussehen sollte. Er wollte der Mann werden, dem Emma Gould ihr ganzes Vertrauen schenkte.
    Im Lauf des Winters wagten sie es ein paarmal, sich zusammen in der Öffentlichkeit sehen zu lassen – selbstredend nur, wenn sie genau wusste, dass Albert White und seine wichtigsten Vertrauten nicht in der Stadt waren. Zudem gingen sie nur in Lokale, die Tim Hickey oder seinen Partnern gehörten.
    Einer von Tims Kompagnons war Phil Cregger, der das Venetian-Garden-Restaurant im Erdgeschoss des Bromfield Hotels führte. Es war ein frostiger Abend, als Joe und Emma dort essen wollten; obwohl der Himmel klar war, roch die Luft nach Schnee. Sie hatten gerade Mantel und Hut an der Garderobe abgegeben, als eine Gruppe von Männern das Privatzimmer hinter der Küche verließ. Am Zigarrenrauch und dem jovialen Tonfall ihrer Stimmen erkannte Joe bereits, um was für Leute es sich handelte, ehe er ihre Gesichter sah – Politiker.
    Stadträte, Abgeordnete, Baudezernenten, Feuerwehrhauptmänner, hochrangige Polizisten und Staatsanwälte: kurz, die schillernde, lächelnde, zwielichtige Blase, die den Motor der Stadt zumindest mit Ach und Krach am Laufen hielt, die dafür sorgte, dass die Züge halbwegs planmäßig fuhren und die Ampeln leidlich funktionierten – und die Bewohner Bostons tagtäglich daran erinnerte, dass die gesamte Infrastruktur ohne ihre Bemühungen im Nu zusammenbrechen würde.
    Er erblickte seinen Vater im selben Moment, als sein Vater ihn bemerkte. Wie jedes Mal, wenn sie sich eine Zeitlang nicht gesehen hatten, war ihre Begegnung ein wenig befremdlich, weil sie buchstäblich ihr Spiegelbild vor sich hatten. Joes Vater war sechzig. Er hatte Joe im reifen Alter von vierzig gezeugt, nachdem er bereits in jüngeren Jahren Vater zweier Söhne geworden war. Doch während Connor und Danny das genetische Erbe beider Elternteile in sich vereinten, sowohl was ihre Gesichter und ihre Körper als auch ihre Hünenhaftigkeit anging (was sie den Fennessys, ihrer Familie mütterlicherseits, zu verdanken hatten), war Joe das Ebenbild seines Vaters. Er war genauso groß, besaß die gleiche Statur, das gleiche kantige Kinn, die gleiche Nase und die gleichen ausgeprägten Wangenknochen, dazu ebenso auffällig tiefliegende Augen, die kaum erkennen ließen, was gerade in seinem Kopf vorging. Der einzige Unterschied zwischen Joe und seinem Vater war farblicher Natur: Joes Augen waren blau, die seines Vaters grün; Joes Haar war weizenblond, das seines Vaters flachsfarben. Und während Joes Vater sah, wie ihm seine eigene Jugend spöttisch eine Nase drehte, sah Joe Leberflecke und Runzeln, den Tod, der um drei Uhr morgens am Fußende seines Betts stand und ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfte.
    Nachdem Thomas Coughlin noch ein paar Hände geschüttelt und Schultern geklopft hatte, löste er sich aus dem Pulk, während sich die anderen Männer an der Garderobe anstellten, und trat zu seinem Sohn. »Wie geht’s dir?«
    Joe schüttelte ihm die Hand. »Gar nicht so übel. Und selbst?«
    »Bestens. Ich bin letzten Monat befördert worden.«
    »Zum stellvertretenden Polizeichef von Boston«, sagte Joe. »Ich hab’s gehört.«
    »Und du? Womit verdienst du gerade dein Geld?«
    Man musste Thomas Coughlin schon sehr, sehr gut kennen, um zu merken, wenn er bereits tief ins Glas geschaut hatte. Seine Aussprache nämlich war tadellos; seine Stimme blieb stets ruhig, fest und angenehm sonor, selbst wenn er bereits eine halbe Flasche irischen Whiskey intus hatte. Sein Blick war klar und nicht mal ansatzweise glasig. Doch wenn man mit den Anzeichen vertraut war, bemerkte man etwas Raubtierhaftes, Sardonisches in seinen glatten Zügen, etwas, das sein Gegenüber taxierte, dessen Schwächen auslotete und überlegte, ob er es nicht zum Nachtisch verspeisen sollte.
    »Dad«, sagte Joe. »Das ist übrigens Emma Gould.«
    Thomas Coughlin ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss über die Knöchel. »Sehr erfreut, Miss Gould.« Er winkte den Oberkellner heran. »Gerard, den Ecktisch bitte.« Lächelnd wandte er sich wieder zu Joe und Emma. »Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich mich euch anschließe? Ich habe einen Bärenhunger.«
    Als sie ihren Salat aßen, konnte man die Atmosphäre gerade noch entspannt nennen.
    Thomas gab Geschichten aus Joes Kindheit zum Besten, in denen es einzig und allein darum

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