In der Strafkolonie
oberflächlich erklärt hatte, auf ihn
mache.
Der Riemen, der für das Handgelenk bestimmt war, riß; wahr-
scheinlich hatte ihn der Soldat zu stark angezogen. Der Offizier
sollte helfen, der Soldat zeigte ihm das abgerissene Riemenstück.
Der Offizier ging auch zu ihm hinüber und sagte, das Gesicht
dem Reisenden zugewendet: »Die Maschine ist sehr zusammen-
gesetzt, es muß hie und da etwas reißen oder brechen; dadurch
darf man sich aber im Gesamturteil nicht beirren lassen. Für
den Riemen ist übrigens sofort Ersatz geschafft; ich werde eine
Kette verwenden; die Zartheit der Schwingungen wird dadurch
für den rechten Arm allerdings beeinträchtigt.« Und während
er die Ketten anlegte, sagte er noch: »Die Mittel zur Erhaltung
der Maschine sind jetzt sehr eingeschränkt. Unter dem frühe-
ren Kommandanten war eine mir frei zugängliche Kassa nur für
diesen Zweck bestimmt. Es gab hier ein Magazin, in dem alle
möglichen Ersatzstücke aufbewahrt wurden. Ich gestehe, ich
trieb damit fast Verschwendung, ich meine früher, nicht jetzt,
wie der neue Kommandant behauptet, dem alles nur zum Vor-
wand dient, alte Einrichtungen zu bekämpfen. Jetzt hat er die
Maschinenkassa in eigener Verwaltung, und schicke ich um ei-
nen neuen Riemen, wird der zerrissene als Beweisstück verlangt,
der neue kommt erst in zehn Tagen, ist dann aber von schlechte-
rer Sorte und taugt nicht viel. Wie ich aber in der Zwischenzeit
ohne Riemen die Maschine betreiben soll, darum kümmert sich
niemand.«
Der Reisende überlegte: Es ist immer bedenklich, in fremde
Verhältnisse entscheidend einzugreifen. Er war weder Bürger
der Strafkolonie, noch Bürger des Staates, dem sie angehörte.
Wenn er die Exekution verurteilen oder gar hintertreiben wollte,
konnte man ihm sagen: Du bist ein Fremder, sei still. Darauf
hätte er nichts erwidern, sondern nur hinzufügen können, daß
er sich in diesem Falle selbst nicht begreife, denn er reise nur
mit der Absicht, zu sehen, und keineswegs etwa, um fremde Ge-
richtsverfassungen zu ändern. Nun lagen aber hier die Dinge al-
lerdings sehr verführerisch. Die Ungerechtigkeit des Verfahrens
und die Unmenschlichkeit der Exekution war zweifellos. Nie-
mand konnte irgendeine Eigennützigkeit des Reisenden anneh-
men, denn der Verurteilte war ihm fremd, kein Landsmann und
ein zum Mitleid gar nicht auffordernder Mensch. Der Reisende
selbst hatte Empfehlungen hoher Ämter, war hier mit großer
Höflichkeit empfangen worden, und daß er zu dieser Exekution
eingeladen worden war, schien sogar darauf hinzudeuten, daß
man sein Urteil über dieses Gericht verlangte. Dies war aber um
so wahrscheinlicher, als der Kommandant, wie er jetzt überdeut-
lich gehört hatte, kein Anhänger dieses Verfahrens war und sich
gegenüber dem Offizier fast feindselig verhielt.
Da hörte der Reisende einen Wutschrei des Offiziers. Er hat-
te gerade, nicht ohne Mühe, dem Verur teilten den Filzstumpf
in den Mund geschoben, als der Verurteilte in einem unwider-
stehlichen Brechreiz die Augen schloß und sich erbrach. Eilig
riß ihn der Offizier vom Stumpf in die Höhe und wollte den
Kopf zur Grube hin drehen; aber es war zu spät, der Unrat floß
schon an der Maschine hinab. »Alles Schuld des Kommandan-
ten!« schrie der Offizier und rüttelte besinnungslos vorn an den
Messingstangen, »Die Maschine wird mir verunreinigt wie ein
Stall.« Er zeigte mit zitternden Händen dem Reisenden, was ge-
schehen war. »Habe ich nicht stundenlang dem Kommandanten
begreiflich zu machen gesucht, daß einen Tag vor der Exekution
kein Essen mehr verabfolgt werden soll. Aber die neue milde
Richtung ist anderer Meinung. Die Damen des Kommandanten
stopfen dem Mann, ehe er abgeführt wird, den Hals mit Zuk-
kersachen voll. Sein ganzes Leben hat er sich von stinkenden Fi-
schen genährt und muß jetzt Zuckersachen essen! Aber es wäre
ja möglich, ich würde nichts einwenden, aber warum schafft
man nicht einen neuen Filz an, wie ich ihn seit einem Viertel-
jahr erbitte. Wie kann man ohne Ekel diesen Filz in den Mund
nehmen, an dem mehr als hundert Männer im Sterben gesaugt
und gebissen haben?«
Der Verurteilte hatte den Kopf niedergelegt und sah friedlich
aus, der Soldat war damit beschäftigt, mit dem Hemd des Ver-
urteilten die Maschine zu putzen. Der Offizier ging zum Reisen-
den, der in irgendeiner Ahnung einen Schritt zurücktrat, aber
der Offizier faßte ihn bei der Hand und zog
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