In der Strafkolonie
unterdrücken; so leicht war
also die Aufgabe, die er für so schwer gehalten hatte. Er sagte
ausweichend: »Sie überschätzen meinen Einfluß; der Komman-
dant hat mein Empfehlungsschreiben gelesen, er weiß, daß ich
kein Kenner der gerichtlichen Verfahren bin. Wenn ich eine
Meinung aussprechen würde, so wäre es die Meinung eines Pri-
vatmannes, um nichts bedeutender als die Meinung eines belie-
bigen anderen, und jedenfalls viel bedeutungsloser als die Mei-
nung des Kommandanten, der in dieser Strafkolonie, wie ich zu
wissen glaube, sehr ausgedehnte Rechte hat. Ist seine Meinung
über dieses Verfahren eine so bestimmte, wie Sie glauben, dann,
fürchte ich, ist allerdings das Ende dieses Verfahrens gekommen,
ohne daß es meiner bescheidenen Mithilfe bedürfte.«
Begriff es schon der Offizier? Nein, er begriff noch nicht. Er
schüttelte lebhaft den Kopf, sah kurz nach dem Verurteilten
und dem Soldaten zurück, die zusammenzuckten und vom Reis
abließen, ging ganz nahe an den Reisenden heran, blickte ihm
nicht ins Gesicht, sondern irgendwohin auf seinen Rock und
sagte leiser als früher: »Sie kennen den Kommandanten nicht;
Sie stehen ihm und uns allen — verzeihen Sie den Ausdruck —
gewissermaßen harmlos gegenüber; Ihr Einfluß, glauben Sie mir,
kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich war ja glückse-
lig, als ich hörte, daß Sie allein der Exekution beiwohnen sollten.
Diese Anordnung des Kommandanten sollte mich treffen, nun
aber wende ich sie zu meinen Gunsten. Unabgelenkt von fal-
schen Einflüsterungen und verächtlichen Blicken — wie sie bei
größerer Teilnahme an der Exekution nicht hätten vermieden
werden können — haben Sie meine Erklärungen angehört, die
Maschine gesehen und sind nun im Begriffe, die Exekution zu
besichtigen. Ihr Urteil steht gewiß schon fest; sollten noch kleine
Unsicherheiten bestehen, so wird sie der Anblick der Exekution
beseitigen. Und nun stelle ich an Sie die Bitte: helfen Sie mir ge-
genüber dem Kommandanten!«
Der Reisende ließ ihn nicht weiterreden. »Wie könnte ich
denn das,« rief er aus, »das ist ganz unmöglich. Ich kann Ihnen
ebenso wenig nützen, als ich Ihnen schaden kann.«
»Sie können es,« sagte der Offizier. Mit einiger Befürchtung
sah der Reisende, daß der Offizier die Fäuste ballte. »Sie können
es,« wiederholte der Offizier noch dringender. »Ich habe einen
Plan, der gelingen muß. Sie glauben, Ihr Einfluß genüge nicht.
Ich weiß, daß er genügt. Aber zugestanden, daß Sie recht haben,
ist es denn nicht notwendig, zur Erhaltung dieses Verfahrens
alles, selbst das möglicherweise Unzureichende zu versuchen?
Hören Sie also meinen Plan. Zu seiner Ausführung ist es vor al-
lem nötig, daß Sie heute in der Kolonie mit Ihrem Urteil über
das Verfahren möglichst zurückhalten. Wenn man Sie nicht ge-
radezu fragt, dürfen Sie sich keinesfalls äußern; ihre Äußerun-
gen müssen kurz und unbestimmt sein; man soll merken, daß
es Ihnen schwer wird, darüber zu sprechen, daß Sie verbittert
sind, daß Sie, falls Sie offen reden sollten, geradezu in Verwün-
schungen ausbrechen müßten. Ich verlange nicht, daß Sie lügen
sollen; keineswegs; Sie sollen nur kurz antworten, etwa: ›Ja, ich
habe die Exekution gesehen‹, oder ›Ja, ich habe alle Erklärungen
gehört‹. Nur das, nichts weiter. Für die Verbitterung, die man
Ihnen anmerken soll, ist ja genügend Anlaß, wenn auch nicht
im Sinne des Kommandanten. Er natürlich wird es vollständig
mißverstehen und in seinem Sinne deuten. Darauf gründet sich
mein Plan. Morgen findet in der Kommandantur unter dem
Vorsitz des Kommandanten eine große Sitzung aller höheren
Verwaltungsbeamten statt. Der Kommandant hat es natürlich
verstanden, aus solchen Sitzungen eine Schaustellung zu ma-
chen. Es wurde eine Galerie gebaut, die mit Zuschauern immer
besetzt ist. Ich bin gezwungen, an den Beratungen teilzunehmen,
aber der Widerwille schüttelt mich. Nun werden Sie gewiß auf
jeden Fall zu der Sitzung eingeladen werden; wenn Sie sich heu-
te meinem Plane gemäß verhalten, wird die Einladung zu einer
dringenden Bitte werden. Sollten Sie aber aus irgendeinem un-
erfindlichen Grunde doch nicht eingeladen werden, so müßten
Sie allerdings die Einladung verlangen; daß Sie sie dann erhalten,
ist zweifellos. Nun sitzen Sie also morgen mit den Damen in der
Loge des Kommandanten. Er versichert sich öfters durch Blicke
nach
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