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In der Strafkolonie

In der Strafkolonie

Titel: In der Strafkolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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neue Pläne im Kopf, wenigstens während vieler Jahre
    nichts von dem Alten wird ändern können. Unsere Voraussage
    ist auch eingetroffen; der neue Kommandant hat es erkennen
    müssen. Schade, daß Sie den früheren Kommandanten nicht ge-
    kannt haben! — Aber,« unterbrach sich der Offizier, »ich schwät-
    ze, und sein Apparat steht hier vor uns. Er besteht, wie Sie sehen,
    aus drei Teilen. Es haben sich im Laufe der Zeit für jeden Teile
    gewissermaßen volkstümliche Bezeichnungen ausgebildet. Der
    untere heißt das Bett , der obere heißt der Zeichner , und hier der
    mittlere, schwebende Teil heißt die Eggen .« »Die Egge?« fragte
    der Reisende. Er hatte nicht ganz aufmerksam zugehört, die Son-
    ne verfing sich allzu stark in dem schattenlosen Tal, man konn-
    te schwer seine Gedanken sammeln. Um so bewundernswerter
    erschien ihm der Offizier, der im engen, parademäßigen, mit
    Epauletten beschwerten, mit Schnüren behängten Waffenrock
    so eifrig seine Sache erklärte und außerdem, während er sprach,
    mit einem Schraubendreher noch hier und da an einer Schraube
    sich zu schaffen machte. In ähnlicher Verfassung wie der Rei-
    sende schien der Soldat zu sein. Er hatte um beide Handgelenke
    die Kette des Verurteilten gewickelt, stützte sich mit einer Hand
    auf sein Gewehr, ließ den Kopf im Genick hinunterhängen und
    kümmerte sich um nichts. Der Reisende wunderte sich nicht
    darüber, denn der Offizier sprach französisch, und Französisch
    verstand gewiß weder der Soldat noch der Verurteilte. Um so
    auffallender war es allerdings, daß der Verurteilte sich dennoch
    bemühte, den Erklärungen des Offiziers zu folgen. Mit einer Art
    schläfriger Beharrlichkeit richtete er die Blicke immer dorthin,
    wohin der Offizier gerade zeigte, und als dieser jetzt vom Rei-
    senden mit einer Frage unterbrochen wurde, sah auch er, ebenso
    wie der Offizier den Reisenden an.
    »Ja, die Egge,« sagte der Offizier, »der Name paßt. Die Nadeln
    sind eggenartig angeordnet, auch wird das Ganze wie eine Egge
    geführt, wenn auch bloß auf einem Platz und viel kunstgemäßer.
    Sie werden es übrigens gleich verstehen. Hier auf das Bett wird
    der Verurteilte gelegt. — Ich will nämlich den Apparat zuerst
    beschreiben und dann erst die Prozedur selbst ausführen lassen.
    Sie werden ihr dann besser folgen können. Auch ist ein Zahnrad
    im Zeichner zu stark abgeschliffen; es kreischt sehr, wenn es im
    Gang ist; man kann sich dann kaum verständigen; Ersatzteile
    sind hier leider nur schwer zu beschaffen. — Also hier ist das
    Bett, wie ich sagte. Es ist ganz und gar mit einer Watteschicht
    bedeckt; den Zweck dessen werden Sie noch erfahren. Auf die-
    se Watte wird der Verurteilte bäuchlings gelegt, natürlich nackt;
    hier sind für die Hände, hier für die Füße, hier für den Hals Rie-
    men, um ihn festzuschnallen. Hier am Kopfende des Bettes, wo
    der Mann, wie ich gesagt habe, zuerst mit dem Gesicht aufliegt,
    ist dieser kleine Filzstumpf, der leicht so reguliert werden kann,
    daß er dem Mann gerade in den Mund dringt. Er hat den Zweck,
    am Schreien und am Zerbeißen der Zunge zu hindern. Natür-
    lich muß der Mann den Filz aufnehmen, da ihm sonst durch
    den Halsriemen das Genick gebrochen wird.« »Das ist Watte?«
    fragte der Reisende und beugte sich vor. »Ja, gewiß,« sagte der
    Offizier lächelnd, »befühlen Sie es selbst.« Er faßte die Hand des
    Reisenden und führte sie über das Bett hin. »Es ist eine beson-
    ders präparierte Watte, darum sieht sie so unkenntlich aus; ich
    werde auf ihren Zweck noch zu sprechen kommen.« Der Reisen-
    de war schon ein wenig für den Apparat gewonnen; die Hand
    zum Schutz gegen die Sonne über den Augen, sah er an dem Ap-
    parat in die Höhe. Es war ein großer Aufbau. Das Bett und der
    Zeichner hatten gleichen Umfang und sahen wie zwei dunkle
    Truhen aus. Der Zeichner war etwa zwei Meter über dem Bett
    angebracht; beide waren in den Ecken durch vier Messingstan-
    gen verbunden, die in der Sonne fast Strahlen warfen. Zwischen
    den Truhen schwebte an einem Stahlband die Egge.
    Der Offizier hatte die frühere Gleichgültigkeit des Reisenden
    kaum bemerkt, wohl aber hatte er für sein jetzt beginnendes In-
    teresse Sinn; er setzte deshalb in seinen Erklärungen aus, um
    dem Reisenden zur ungestörten Betrachtung Zeit zu lassen. Der
    Verurteilte ahmte den Reisenden nach; da er die Hand nicht über
    die Augen legen konnte, blinzelte er mit freien Augen zur Höhe.
    »Nun liegt

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