In der Strafkolonie
alte Lage zurückkehren, aber als merke sie selbst,
daß sie von ihrer Last noch nicht befreit sei, blieb sie doch über
der Grube. »Helft doch!« schrie der Reisende zum Soldaten und
zum Verurteilten hinüber und faßte selbst die Füße des Offiziers.
Er wollte sich hier gegen die Füße drücken, die zwei sollten auf
der anderen Seite den Kopf des Offiziers fassen, und so sollte
er langsam von den Nadeln gehoben werden. Aber nun konn-
ten sich die zwei nicht entschließen zu kommen; der Verurteilte
drehte sich geradezu um; der Reisende mußte zu ihnen hinüber-
gehen und sie mit Gewalt zu dem Kopf des Offiziers drängen.
Hierbei sah er fast gegen Willen das Gesicht der Leiche. Es war,
wie es im Leben gewesen war; kein Zeichen der versprochenen
Erlösung war zu entdecken; was alle anderen in der Maschine
gefunden hatten, der Offizier fand es nicht; die Lippen waren
fest zusammengedrückt, die Augen waren offen, hatten den
Ausdruck des Lebens, der Blick war ruhig und überzeugt, durch
die Stirn ging die Spitze des großen eisernen Stachels.
Als der Reisende, mit dem Soldaten und dem Verurteilten hinter
sich, zu den ersten Häusern der Kolonie kam, zeigte der Soldat
auf eins und sagte: »Hier ist das Teehaus.«
Im Erdgeschoß eines Hauses war ein tiefer, niedriger, höhlen-
artiger, an den Wänden und an der Decke verräucherter Raum.
Gegen die Straße zu war er in seiner ganzen Breite offen. Trotz-
dem sich das Teehaus von den übrigen Häusern der Kolonie, die
bis auf die Palastbauten der Kommandantur alle sehr verkom-
men waren, wenig unterschied, übte es auf den Reisenden doch
den Eindruck einer historischen Erinnerung aus, und er fühlte
die Macht der früheren Zeiten. Er trat näher heran, ging, gefolgt
von seinen Begleitern, zwischen den unbesetzten Tischen hin-
durch, die vor dem Teehaus auf der Straße standen, und atmete
die kühle, dumpfige Luft ein, die aus dem Innern kam. »Der Alte
ist hier begraben,« sagte der Soldat, »ein Platz auf dem Fried-
hof ist ihm vom Geistlichen verweigert worden. Man war eine
Zeitlang unentschlossen, wo man ihn begraben sollte, schließ-
lich hat man ihn hier begraben. Davon hat Ihnen der Offizier
gewiß nichts erzählt, denn dessen hat er sich natürlich am mei-
sten geschämt. Er hat sogar einigemal in der Nacht versucht, den
Alten auszugraben, er ist aber immer verjagt worden.« »Wo ist
das Grab?« fragte der Reisende, der dem Soldaten nicht glauben
konnte. Gleich liefen beide, der Soldat wie der Verurteilte, vor
ihm her und zeigten mit ausgestreckten Händen dorthin, wo
sich das Grab befinden sollte. Sie führten den Reisenden bis zur
Rückwand, wo an einigen Tischen Gäste saßen. Es waren wahr-
scheinlich Hafenarbeiter, starke Männer mit kurzen, glänzend
schwarzen Vollbärten. Alle waren ohne Rock, ihre Hemden wa-
ren zerrissen, es war armes, gedemütigtes Volk. Als sich der Rei-
sende näherte, erhoben sich einige, drückten sich an die Wand
und sahen ihm entgegen. »Es ist ein Fremder,« flüsterte es um
den Reisenden herum, »der will das Grab ansehen.« Sie schoben
einen der Tische beiseite, unter dem sich wirklich ein Grabstein
befand. Es war ein einfacher Stein, niedrig genug, um unter ei-
nem Tisch verborgen werden zu können. Er trug eine Aufschrift
mit sehr kleinen Buchstaben; der Reisende mußte, um sie zu le-
sen, niederknien. Sie lautete: ›Hier ruht der alte Kommandant.
Seine Anhänger, die jetzt keinen Namen tragen dürfen, haben
ihm das Grab gegraben und den Stein gesetzt. Es besteht eine
Prophezeiung, daß der Kommandant nach einer bestimmten
Anzahl von Jahren auferstehen und aus diesem Hause seine An-
hänger zur Wiedereroberung der Kolonie führen wird. Glaubet
und wartet!‹ Als der Reisende das gelesen hatte und sich erhob,
sah er rings um sich die Männer stehen und lächeln, als hätten
sie mit ihm die Aufschrift gelesen, sie lächerlich gefunden und
forderten ihn auf, sich ihrer Meinung anzuschließen. Der Rei-
sende tat, als merke er das nicht, verteilte einige Münzen un-
ter sie, wartete noch bis der Tisch über das Grab geschoben war,
verließ das Teehaus und ging zum Hafen.
Der Soldat und der Verurteilte hatten im Teehaus Bekannte
gefunden, die sie zurückhielten. Sie mußten sich aber bald von
ihnen losgerissen haben, denn der Reisende befand sich erst in
der Mitte der langen Treppe, die zu den Booten führte, als sie
ihm schon nachliefen. Sie wollten
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