In der Südsee. Zweiter Band
scheinen die Häuptlinge und Notabeln die eigentliche Macht gehabt, ja, mitunter sogar die Monarchie abgelöst zu haben. Die »Alten« (wie sie genannt werden) haben das Recht, im Sprechhaus neben dem König zu sitzen; des Königs Oberhoheit gelangt in einer Schlußformel – »Das Sprechen ist beendet« – zum Ausdruck. Nach der langen Zeit des Absolutismus unter Nakaeiaund den Umwälzungen Nanteiteis hatten die Alten ihre Ohnmacht satt bekommen, zweifellos waren sie auch auf Maka eifersüchtig. Verleumdung – vielmehr Persiflage – wurde zur Hilfe gerufen; eine Wort-Karrikatur machte die Runde der Gesellschaft: Maka, hieß es, habe in der Kirche erklärt, der König sei der erste und er selber der zweite Mann der Insel, und aufgebracht durch die vermeintliche Beleidigung brachen die Häuptlinge in offene Rebellion aus. Sie sammelten sich zu den Waffen, und nach Verlauf eines einzigen Vormittags war der Thron Nakaias in den Staub gezerrt. Der König saß in seiner Maniap' vor den Toren des Palastes in Erwartung seiner Rekruten: Maka war an seiner Seite, beide waren in schwerer Sorge. Währendessen hatte einer der Häuptlinge sich vor die Tür eines Hauses am Nordende der Stadt postiert und fing die Truppen im Vorbeimarsch ab. Sie kamen einzeln oder in Gruppen, jeder mit seinem Gewehr oder einem Revolver um den Hals geschlungen. »Wohin geht ihr?« fragte der Häuptling. »Der König hat uns gerufen«, lautete die Antwort. »Hier ist euer Platz,« entgegnete der Häuptling, »setzt euch.« Mit unfaßbarer Unloyalität gehorchten alle, und nachdem so von beiden Seiten eine genügende Streitmacht gesammelt worden war, ließ man Nabakatokia holen und zwang ihn, sich zu ergeben. Damals wurden fast in jedem Teile der Inselgruppe die Könige ermordet; auf Tapituea hängt auch heute noch in dem Hauptsprechhaus der Insel das Gerippe des letzten Monarchen als Warnung vor dem Ehrgeiz. Nabakatokia hatte mehr Glück; man schonte sein Leben und ließ ihm die äußerlicheRepräsentation, nahm ihm dafür aber jede Macht. Die Alten tobten sich bei einem großen Gelage in öffentlichen Reden aus; die Gesetze wurden wiederum geändert, ohne jedoch jemals durchgeführt zu werden; das Volk erhielt Gelegenheit, den Vorzügen der Regierung Nakaeias nachzuweinen, und der König, ohne die Stütze reicher Heiraten und die Dienste einer Schar von Frauen, geriet nicht nur in Mißachtung, sondern auch in Schulden.
Wenige Monate vor unserem Kommen war er, ohne von irgend jemandem beweint worden zu sein, endlich gestorben. Alle blickten jetzt voller Hoffnung auf seinen Nachfolger, der dem Rufe nach der Held der Familie war. Von allen vier Brüdern war er der einzige, der Nachkommen hatte, einen erwachsenen Sohn Natiata und eine dreijährige Tochter. An ihn hatte sich in der Stunde der Revolution Nabakatokia, wenn auch verspätet, um Hilfe gewandt, und in früheren Zeiten war er die rechte Hand des kraftvollen Nakaeias gewesen, Nontemat', »Herr Leiche« lautete sein furchtbarer Spitzname, und er hatte ihn sich mit Recht erworben. Wieder und immer wieder hatte er auf Befehl Nakaeias in tiefster Nacht die Häuser umstellt, die Moskitonetze durchschnitten und ganze Familien niedergemetzelt. Hier war also die eiserne Hand; hier war Nakaeia redux. Er kam, von seiner Unterregentschaft auf Klein-Makin abberufen, bestieg den Thron und – entpuppte sich als Marionette und Feigling, als plumper Federball in der Hand der öffentlichen Redner. Der Leser hat seine Überreste in dem Sommersaal unter dem Namen Tebureimoa kennengelernt.
Die Änderung in des Mannes Charakter bot Anlaß zu zahlreichen Erörterungen und wurde verschiedentlich als die Folge von Opium oder seiner Bekehrung zum Christentum erklärt. Meiner Ansicht nach hat jedoch überhaupt keine Veränderung stattgefunden, alles erscheint mir im Gegenteil bis ins Letzte folgerichtig. Herr Leiche fürchtete seinen Bruder: König Tebureimoa die Alten. Furcht vor dem erstgenannten trieb ihn zu Verzweiflungstaten; Furcht vor den letzteren machte ihn zu jeder Regierungstat unfähig. In der Vergangenheit hatte er die Rolle eines Bravos gespielt, indem er der Richtung des geringsten Widerstandes folgend andere zu seinem eigenen Schutz abschlachtete: heute, da er älter und schwerfälliger, ein Konvertit und ein Leser der Bibel, vielleicht auch ein Büßer geworden ist, kapituliert er im Bewußtsein des akkumulierten Hasses, den er erzeugte, und in Erinnerung an die Bilder von Gewalt und Mord, die ihn
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