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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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wird, erhält man ein Getränk, das sich eines Dankgebets wohl lohnt. Den ganzen Vormittag über darf man immer wieder kommen, um zu kosten; es funkelt, wird stärker und wächst sich zu einem neuen, nicht minder köstlichen Trank aus. Im Laufe des Tages nimmt die Gärung zu und gewinnt an Säure; nach zwölf Stunden ist sie zur Brothefe geworden, in zwei Tagen zu einem teuflischen Rauschmittel, das die Menschen zu Verbrechen treibt. Die Männer haben ausgesprochenen Arabertyp, häufig mit Bart oder Schnurrbart. Manche tragen die buntesten Kleider, manche Arm- und Beinringe, und alle stolzieren hidalgogleich einher und nehmen Begrüßungen hoheitsvoll entgegen. Das Haar wird von den Gigerln beiderlei Geschlechts in einem krausen, turbangleichenSchopf getragen, und ein den Dolchen der Japaner ähnlicher, spitzer Pfeil wird an Stelle des Kamms herausfordernd in die Frisur gesteckt. Die Weiber blicken unter diesem Haarwust kokett hervor: was Frauenschönheit betrifft, kann sich die Rasse zwar keineswegs mit den Tahitiern vergleichen, und ich bezweifle, ob der Durchschnitt ein hoher ist, trotzdem waren mit die hübschesten Mädchen und stattlichsten Weiber, die ich je gesehen habe, Gilbertinerinnen. Butaritari ist als kommerzieller Mittelpunkt der ganzen Gruppe europäisiert; ein loses, farbiges Gewand oder ein feines weißes Hemd, letzteres nur für den Abend, ist jetzt die gebräuchlichste Kleidung; der billige, mit Blumen, Früchten und Bändern überladene importierte Hut ist leider auch nicht unbekannt, und das charakteristischste Frauenkleid der Gilbertinseln ist nicht mehr Allgemeingut. Dieses heißt »Ridi« und besteht aus einem kurzen Röckchen oder Gürtel aus geräucherten Kokosnußblättern, die geteertem Bindfaden nicht unähnlich sind: das untere Ende reicht knapp bis zum Oberschenkel, das obere hängt so tief über den Hüften, daß es dort nur zufällig zu haften scheint. Ein einziges Niesen und man glaubt, die Dame stände nackt da. »Das verwegene, haarschmale Ridi« hatten wir es getauft; und in dem Konflikt, der gegenwärtig um die Weiberkleidung tobt, hat es das Unglück, beiden Seiten zu mißfallen. Die Prüden verdammen es als ungenügend, die Weltlicheren finden es an sich unschön. Und doch muß eine hübsche Gilbertinerin, will sie sich von ihrer besten Seite zeigen, in jenem Kostüm gehen. In ihm oderauch ganz nackt bewegt sie sich mit der unvergleichlichen Freiheit, Grazie und Lebendigkeit, die die Poesie Mikronesiens bilden, während der Reiz in Kleider gepackt sofort vergeht und sie sich wie eine Engländerin dreht und windet.
    Gegen Abend wurde der Aufzug immer prächtiger. Die Männer brachen in alle Farben des Regenbogens oder sagen wir der Handelsniederlassung aus – und Männer sowohl wie Weiber begannen, mit frischen Blumen geschmückt und parfümiert einherzuschlendern. Ihre Lieblingsblume sind kleine weiße Blüten, die mitunter einzeln wie winzige Sternchen in das Frauenhaar gesät, mitunter auch zu dicken Kränzen geflochten werden. Bei Anbruch der Nacht begann die Menge sich zu verdichten, und das Trippeln und Schlürfen nackter Füße hörte nicht mehr auf; die Spaziergänger waren meistens ernst, selbst die Kinder verhielten sich ruhig, von Zeit zu Zeit nur wurde das Schweigen durch ein Gekicher und Gelaufe der Mädchen unterbrochen. Um neun schlug von der Kathedrale die Stunde des Schlafengehens, und das Leben der Stadt versiegte. Um vier Uhr morgens wird das Zeichen in der Dunkelheit wiederholt, und die unschuldigen Schläfer erhalten ihre Freiheit zurück, doch in den sieben Stunden, die dazwischen liegen, müssen alle – ich wollte eben sagen, hinter Schloß und Riegel sein, wo doch Türen und selbst Wände hier eine Ausnahme sind – sagen wir also, sich unter ihr luftiges Dach hinter die Zelte ihrer Moskitonetze geflüchtet haben. Hat einer einen notwendigen Gang zu machen, läßt sich ein Unterwegssein nicht verschieben, so muß sichder Betreffende von weitem schon der Polizei durch eine ungeheure Fackel aus Kokos kenntlich machen, die sich wie ein wanderndes Leuchtfeuer von Haus zu Haus bewegt. Einzig die Polizei selbst darf im Dunkeln gehn und schleicht des Nachts auf der Suche nach Übeltätern umher. Ich haßte ihr heimtückisches Wesen von Herzen; besonders der Polizeihauptmann, ein schlauer alter Kerl in Weiß, umlauerte allnächtlich so standhaft unser Hauptquartier, daß ich ihn am liebsten verdroschen hätte; aber der Schelm genoß ja Immunität.
    Keiner der

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