In der Südsee. Zweiter Band
gesehen, wie ich ihn in der Stunde seiner Verzweiflung belauschte.
Die Tage verstrichen, und wir bekamen ihn nicht mehr zu Gesicht. Es war wieder einmal Vollmond, die Zeit, in der es einem wie eine Schande vorkommt, zu schlafen, und ich fuhr fort, bis spät in der Nacht – zwölfund ein Uhr morgens – auf dem hellen Sande und im Schatten der wehenden Palmen spazieren zu gehen. Während meiner Wanderungen spielte ich das Flageolett, wodurch ein großer Teil meiner Aufmerksamkeit gefesselt wurde; die Fächer zu meinen Häupten knarrten mit einem metallischen Geräusch im Winde, und ein nackter Fuß tritt auf jenem nachgiebigen Boden zu jeder Zeit fast lautlos auf. Als ich daher nach Äquatorstadt zurückkehrte, wo alle Lichter bereits gelöscht waren, und meine Frau (die noch wach lag und mich beobachtet hatte) sich erkundigte, wer denn der Mann gewesen wäre, der mir gefolgt sei, dachte ich zuerst, sie mache einen Scherz. »Keineswegs«, lautete ihre Antwort. »Ich sah ihn zweimal, während du vorübergingst, dicht auf deinen Fersen. Er verließ dich erst an der Ecke der Maniap' und muß noch hinter dem Kochhaus herumlungern.« Dorthin rannte ich also – Narr der ich war – ohne jede Waffe und befand mich plötzlich Aug in Auge dem Koch gegenüber. Er stand innerhalb meiner Tapulinie, was an sich schon Tod bedeutete; dort konnte er zu solcher Stunde, außer zum Morden oder Stehlen, nichts zu suchen haben. Allein das Schuldbewußtsein machte ihn feige, er drehte sich um und floh ohne ein Wort in die Nacht hinaus. Dabei versetzte ich ihm einen Puff an jene Stelle, mit der man sich die größten Ehren ersitzt, und er ließ ein mattes Quietschen wie eine verwundete Maus hören. In jenem Augenblick vermutete er wahrscheinlich, ich hätte ihn mit einer tödlichen Waffe berührt.
Was hatte der Mann hier zu suchen? Sonst habe ich immer gefunden, daß meine Musik das Publikum ehervertreibt als anlockt. Dilettant der ich war, konnte ich nicht annehmen, daß meine Wiedergabe des »Karnevals in Venedig« ihn reizte, oder daß er auf die natürliche Nachtruhe verzichtet hatte, um meinen Variationen des »Fröhlichen Landmanns« zu lauschen. Was immer auch sein Zweck war, unmöglich konnte man ihn des Nachts ungehindert um das Haus streichen lassen. Ein Wort an den König, und der Mann existierte nicht mehr, da sein Benehmen wirklich unverzeihlich war. Aber es ist ein ander Ding, einen Menschen selbst zu töten, als ihn hinter seinem Rücken zu denunzieren, um ihn von einem Dritten erschießen zu lassen. Ich beschloß daher, auf meine eigene Faust mit dem Kerl fertig zu werden, erzählte die Geschichte Ah Fu und bat ihn, mir den Koch zu bringen, wo immer er seiner habhaft werden könnte. Ich hatte dabei angenommen, daß dies mit einigen Schwierigkeiten verknüpft sein würde, doch, weit davon entfernt, erschien er plötzlich ungerufen: in Wahrheit eine Verzweiflungstat, denn sein Leben hing von meinem Schweigen ab, und das Beste, was er erhoffen konnte, war, daß ich ihn vergessen würde. Trotzdem trat er vollkommen selbstsicher auf, brachte weder eine Entschuldigung noch eine Erklärung vor, beklagte sich nur über die Verletzung, die er hätte erleiden müssen, und gab vor, nicht mehr sitzen zu können. Nun glaube ich wohl, daß ich der schwächste Mann bin, den der Herrgott je erschaffen hat; ich hatte ihn obendrein an die unverwundbarste Stelle seines Riesenkadavers getreten, hatte keine Schuhe angehabt und nicht einmal meinen Fuß verletzt. Ah Fu vermochte einen Heiterkeitsausbruchauch nicht zu unterdrücken. Ich meinerseits, der ich wußte, welche Angst der andere ausstehen mußte, konnte nicht umhin, in dieser Unverschämtheit eine Art von Tapferkeit zu sehen und bewunderte den Mann im stillen. Ich erklärte ihm daher, ich würde dem König nichts von dem nächtlichen Abenteuer erzählen und erlaubte ihm zwar, wenn er eine Botschaft auszurichten hätte, tagsüber den Grund innerhalb meiner Tapulinie zu betreten, drohte aber, wenn ich ihn nach Sonnenuntergang dort fände, ihn auf der Stelle niederzuknallen und zeigte ihm als Beweis meinen Revolver. Er muß sich unendlich erleichtert gefühlt haben, doch hütete er sich, das merken zu lassen, schlenderte im Gegenteil mit seiner üblichen, stutzerhaften Nonchalance davon und ward kaum mehr gesehen.
Diese Fünf allein, ausgenommen den an Stelle des Kochs beorderten Hausmeister, gingen bei uns aus und ein und waren unsere einzigen Besucher. Der Tapukreis hielt alle
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