In der Südsee. Zweiter Band
imaginären Unterhaltung zwischen zwei Hunden ausfüllten. Manchmal läßt der König sich herbei, zu lachen, manchmal richtet er auch an sie Fragen oder scherzt mit ihnen, und immer tönt seine Stimme schrill aus dem Inneren heraus. Ihm zur Seite kauert vielleicht der präsumptive Thronerbe, sein Neffe und Adoptivsohn Paul, ein splitternacktes, sechsjähriges Bürschchen, ein Idealbild menschlicher Schönheit. Und stets wachen die Favoritin und zwei oder drei Frauen bei ihm, während vier andere wie leblos unter Matten in den Armen des Schlafes liegen. Vielleicht kommen wir aber auch erst später, zu einer intimeren Stunde, und finden Tembinok' allein mit seiner Favoritin, einem tönernen Spucknapf, einem bleiernen Tintenfaß und einem großen Kontobuch. In dieses trägt er, auf dem Bauche liegend von Tag zu Tag die Geschichte seiner an Ereignissen armen Regierung ein. Wenn er so beschäftigt ist, verrät er eine Spur Ärger über die Unterbrechung, den ich ihm durchaus nachzufühlen vermag. Einmal las der königliche Chronist mir eine Seite vor, indem er Satz für Satz übersetzte; da jedoch die Stelle ausschließlich von Genealogie handelte undder Autor sehr häufig über seine Version stolperte, muß ich gestehen, daß ich mich manchmal schon besser unterhalten habe. Auch beschränkt er sich durchaus nicht auf Prosa, sondern schlägt in den Stunden seiner Muße noch die Leier und gilt als der beste Barde seines Reiches, ebenso wie er dessen einzige öffentliche Persönlichkeit, führender Architekt und alleiniger Kaufmann ist. Seine Begabung reicht jedoch nicht bis an das Musikalische heran, sondern seine Verse werden nach ihrer Vollendung beruflichen Musikern eingetrichtert, die sie dann komponieren und dem Chor eindrillen. Auf die Frage, wovon die Verse denn handelten, erwiderte Tembinok': »Vom Liebchen, von Bäumen und der See. Niß alle wah', alle seh vie' Lüge.« Ich kenne keine präzisere Zusammenfassung des Inhalts der lyrischen Poesie (höchstens hat er die Sterne und die Blumen noch vergessen). Diese vielfältigen Beschäftigungen zeugen indes (für einen eingeborenen, absoluten Fürsten) von ungewöhnlicher Regsamkeit des Geistes.
Zur Mittagszeit, wenn man über die losen Steine stolpert, ist der Palasthof ein Ort, an den man sich nur mit Ehrfurcht als an einen glanzvollen Alpdruck von Licht und Hitze erinnert. Doch fegen ihn die Winde von Fliegen und Moskitos rein, und bei Sonnenuntergang wird er zu einer himmlischen Labe. Am liebsten aber erinnere ich mich seiner mondlosen Nächte. Die Luft ist dann wie ein Bad von Milch. Zahllose Sterne scheinen am Himmel, und die Lagune ist mit ihnen besät. Heere von Frauen hocken gruppenweise auf dem Kies und schwatzen leise miteinander. Tembinok' pflegt dann seinen Rock auszuziehen und nacktund schweigend dazusitzen, vielleicht in die Konzeption eines neuen Gedichtes versunken. Inzwischen wird in der Mitte des Hofes ein Regiment von Lampen angezündet und am Boden aufgereiht – sechs bis acht Quadratmeter werden von diesen Lichtern bedeckt, ein Anblick, der uns einen recht seltsamen Begriff von der Größe »meiner Pamile« vermittelte und ein Schauspiel bot, wie um die Dämmerzeit ein Winkel aus irgendeinem großen Bahnknotenpunkt daheim. Bald jedoch wandern die Lampen nach allen Ecken und Richtungen auseinander, um über den letzten Arbeiten des Tages zu erstrahlen und einer nach der anderen aus der unendlich großen Schar der Frauen in ihr Bett zu leuchten. Nur wenige verweilen noch in der Mitte des Hofes, um über dem Kartenspiel zu erglänzen. Dort sehen sie zu, wie die Trümpfe gemischt und ausgeteilt werden, wie Tembinok' aus seinen zwei Blatt das Beste herauswählt, und wie die Königinnen ihren Tabak verlieren. Dann werden auch sie ausgelöscht und fortgetragen, und an ihre Stelle tritt ein großes Feuer, die Nachtlampe des Palastes. Wenn auch diese ausgebrannt ist, werden vor den Toren kleinere Feuerchen angezündet, die von den unsichtbaren, nimmermüden, doch nicht immer stummen Gevatterinnen genährt werden. Für den Fall, daß sich jemand in tiefster Nacht der Residenz nähert, macht eine Wache die Runde um den Ort, wobei jeder Posten seine Gegenwart dem Nachbarn durch das Werfen eines Steins ankündigt. Das Rattern der Kiesel stirbt dahin und verklingt, und wieder kauern die Wächterinnen Tembinok's schweigend an ihren Plätzen.
Viertes Kapitel. Der König von Apemama: Äquatorstadt und der Palast
Fünf Personen wurden abgeordnet, um uns
Weitere Kostenlose Bücher