In der Südsee
die Tugenden der Tahitier sein mögen, weder Freund noch Feind darf sie keusch nennen, und trotzdem scheinen sie die Zeit der Gefahr überstanden zu haben. Ein letztes Argument: die Syphilis. Aber die Samoaner sind unter allen Umständen so fruchtbar wie zuvor, nach manchen Berichten sogar noch fruchtbarer, obwohl niemand ernsthaft behaupten kann, daß sie von der Syphilis verschont geblieben sind.
Diese Beispiele beweisen, wie gefährlich es ist,irgendeine Tatsache oder auch mehrere, die für eine Gruppe zutreffen, zu verallgemeinern. Ich erinnere mich an eine gut und mit viel Liebe geschriebene Broschüre des hochwürdigen Herrn S. G. Bishop: »Warum sterben die Hawaiier aus?« Jeder, den das Thema interessiert, sollte diese Abhandlung lesen, die viel Tatsachenmaterial enthält; und doch würde Bishop seine Ansichten geändert haben, wenn er andere Inselgruppen nur oberflächlich kennengelernt hätte. Samoa ist augenblicklich die größte und lehrreichste Ausnahme von der Regel. Die Bevölkerung ist durchaus keusch und die enthaltsamste aller Inselbewohner. Eine schwere Seuche hat sie nie heimgesucht und belastet. Ihre Kleidung hat man kaum gewaltsam geändert, über das einfache und zierliche »Tabard« der Mädchen würde Tartuffe auf manchen andern Inseln sich entrüstet haben; an Stelle des kühlen, gesunden und sittsamen Lava-Lava oder Lendenschurzes hat Tartuffe auf mancher andern Insel die Einführung der steifen und unbequemen Hosen erzwungen. Schließlich haben sich, was das wichtigste ist, ihre Vergnügungen nicht verringert, sondern im großen ganzen vermehrt. Der Polynesier verfällt leicht der Mutlosigkeit: Trauerfälle, Enttäuschungen, Furcht vor neuartigen Heimsuchungen, der Verfall oder das Verbot alter Volksbelustigungen machen ihn leicht traurig, und Traurigkeit löst ihn vom Leben. Die Melancholie der Hawaiier und die Leere ihres neuen Daseins sind deutlich sichtbar, und das gilt noch mehr von den Marquesanern. Auf Samoa anderseits machen Gesang und Tanz, ewige Spiele, Reisen und Vergnügungen das Inselleben lebhaft und liebenswürdig, und diese Samoaner sind heute die fröhlichstenund an Unterhaltungen reichsten Bewohner unseres Planeten. Die Wichtigkeit dieser Tatsache kann kaum übertrieben werden. In einem Klima und einem Lande, wo der Lebensunterhalt um nichts zu bekommen ist, ist Unterhaltung ein allererstes Erfordernis. Bei uns, wo das Leben uns täglich neuen Problemen gegenüberstellt, ist es ganz anders, wir haben ernsthaft zu kämpfen und Konflikte zu überwinden, wenn wir überhaupt existieren wollen. So hielt sich auf manchen Atollen, wo keine große Fröhlichkeit herrscht und der Mensch sich mit einer gewissen Kraftanstrengung nur um das tägliche Brot bemühen muß, die öffentliche Gesundheit und die Bevölkerungsziffer gut, aber auf den Lotosinseln schwindet mit den Vergnügungen auch das Leben selbst dahin. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir auch den Verfall des Kriegsspieles zu den Ursachen der Entmutigung rechnen. In Europa sind wir so lange an das furchtbare Gewerbe des Krieges, der Seuchen und verpestete Leichen hinter sich läßt, gewöhnt, daß wir seinen Ursprung, den sehr gesunden und, rein menschlichen Freiluftsport: den Guerillakrieg, fast vergessen haben. Er ist den Insulanern wie seine sonstigen Belustigungen und Gewohnheiten neuerdings verboten worden, der Samoaner aber stellt hier wie in vielen andern Dingen noch immer seinen Mann.
Allgemein gesprochen scheint mir das Problem folgendermaßen zu liegen: Wo der geringste Wechsel der Lebensbedingungen eintritt – wichtig oder unwichtig, heilsam oder unheilvoll –, dort geht das Volk zugrunde. Jeder Wechsel, sei er noch so klein, vermehrt die Summe der neuartigen Verhältnisse, an die die Rasse sich gewöhnen muß. Es mag auf den ersten Blickkeine Vergleichsmöglichkeit geben zwischen dem Übergang von saurem Bier zu schlechtem Gin in Schottland und dem vom Insulanerschurz zu europäischen Hosen. Aber ich bin nicht überzeugt, daß das eine weniger gefährlich ist als das andere, und eine nicht eingewöhnte Rasse kann manchmal durch Nadelstiche aussterben. Wir stehen hier einer der Hauptschwierigkeiten des Missionars gegenüber. Auf polynesischen Inseln gewinnt er leicht überragende Autorität, der König wird sein Haushofmeister, er kann verdammen und befehlen, und die Versuchung ist groß, zu weit zu gehen. So haben – nach allen Berichten – die Katholiken in Mangareva und – nach meiner Erfahrung –
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