In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
ab mit euch«, sagt Peter. »Ich bleibe noch ein paar Minuten da. Ich möchte ein bisschen mit der Ausstellung allein sein.«
Wie kann das irgendjemand übelnehmen?
Uta und Victoria holen ihre Mäntel und stehen mit Peter an der Tür.
Victoria sagt: »Danke für alles, Peter. Du bist klasse.«
Danke, Victoria, dass du ein so liebenswürdiger und anständiger Mensch bist. Komisch, wie es auf einfache Tugenden ankommt.
Uta sagt: »Ruf mich an, wenn irgendwas ist, in Ordnung?«
»Natürlich werde ich das tun.«
Sie drückt seine Hand. So wie er Bettes, als sie vor dem Hai standen.
Danke, Uta. Und gute Nacht.
Hier ist er also, allein mit fünf gewöhnlichen Bürgern, die kurze Zwischenspiele ihres Alltags durchlaufen, während das London Symphony Orchestra immer wieder die ersten Takte von Beethovens neunter Symphonie bewältigt. Beethoven in Endlosschleife.
Wie sind diese Menschen gerettet und enttäuscht worden? Was wird mit ihnen geschehen, was geschieht jetzt mit ihnen? Nicht viel vermutlich. Besorgungen und mühselige Arbeitsstunden, Schule für den Jungen, abends Fernsehen für alle. Oder etwas anderes. Wer weiß? Sie tragen natürlich, jeder von ihnen, ein Juwel des eigenen Ich in sich, nicht nur die Wunden und die Hoffnungen, sondern eine Innerlichkeit, das, was Beethoven vielleicht die Seele genannt hätte, die eigene Glut, die wir in uns haben, die simple Lebendigkeit, komplett verheddert mit Traum und Erinnerung, aber dennoch anders als Traum und Erinnerung, anders als der Moment (eine Straße überqueren, eine Bäckerei verlassen); diese kleine Unendlichkeit, das private Universum, in dem du immer schon und für alle Ewigkeit auf einem Skateboard dahinsaust oder am Boden deiner Handtasche nach Münzen suchst oder mit deinen quengelnden Kindern nach Hause gehst. Was hat Shakespeare gesagt? Dies kleine Leben umfasst ein Schlaf.
Peter würde in diesem Moment liebend gern schlafen. Schlafen, schlafen und schlafen.
Oder weinen.Weinen wäre gut, könnte gut sein, reinigend, aber er ist innerlich ausgetrocknet, was er empfindet, ähnelt eher einer Magenverstimmung als Verzweiflung.
Er ist ein armer, komischer kleiner Mann, nicht wahr?
Er verweilt noch ein bisschen bei der Ausstellung, die sich verkaufen wird oder nicht. Die wieder herunterkommen und durch eine andere Ausstellung ersetzt werden wird. Groff, wenn er Glück hat, Lahkti, wenn er … weniger Glück hat. Nicht dass Lahkti ein Trostpreis ist, Peter liebt sie (er liebt sie einigermaßen), diese akribischen, vertrackten kleinen Bilder von Kalkutta, und wirklich, obwohl Lahkti keine Sensation ist (kleine Gemälde verkaufen sich einfach nicht so wie große), wäre es eine Erleichterung, wenn er ihn nicht abservieren müsste, um Platz für Groff zu schaffen. Auf diese Weise könnte sich Peter weiter ehrenhaft vorkommen, er könnte als solider Zweitklassiger weiterleben, respektiert, aber nicht gefürchtet. Mit Groff steigt er (vielleicht) in die erste Klasse auf, ohne Groff (und wirklich, wer würde es Groff verübeln, wenn er zu einer größeren Galerie ginge?), begnügt er sich, möglicherweise endgültig (er ist seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr »kurz vor dem Durchbruch« gewesen), mit einer Laufbahn als gefestigter Halbbesiegter, ein Meister der Übersehenen und fast, aber nicht ganz so Guten.
Victorias fünf gewöhnliche Bürger laufen in Endlosschleife. Beethoven schmettert triumphal. Missy fliegt in diesem Moment aller Wahrscheinlichkeit nach quer über den Kontinent, über die Lichterstränge des nächtlichen Amerika.
Es wäre gut, hier zu schlafen, genau hier, am Boden der Galerie, während fünf x-beliebige Fremde immer wieder kurze Zwischenspiele ihrer jetzt schon vergessenen Vergangenheit durchleben.
Zeit, sie auszuschalten, die Musik abzustellen, das Licht zu löschen und heimzugehen.
Und dennoch bleibt er. Das hier mag keine große Kunst sein, aber es ist sehr gute Kunst, und er wird davon getröstet, begleitet, und sie wird sich nie wieder so makellos anfühlen wie heute Abend, bevor die Käufer kommen und sie begutachten.
Er nimmt eine der Actionfiguren, den Schwarzen mit dem verschrammten Aktenkoffer. Die Figur ist gewollt schludrig – die aufgemalten Augen stehen leicht schief, die Haut ist leblos kakaofarben, ihr Anzug ist lieblos aus einem glänzenden, stahlgrauen Synthetikmaterial gemacht. Vergötterung bezieht für gewöhnlich Herabsetzung mit ein, nicht wahr? Selbst bei den bunten, glasäugigen Muttergottesfiguren,
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